Bab al-Aziziya, der Komplex des gestürzten Diktators Gaddafi in Tripolis, ist zu einem Symbol der neuen Freiheit geworden.
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"Ein prächtiges Haus wie dieses wird künftig jeder Libyer haben" , träumt Mohammed Bel Hajj, als sein Blick über das ehemalige Anwesen des Gaddafi-Sohnes Saadi schweift, der ins Nachbarland Niger geflüchtet ist und am Sonntag dort aufgegriffen wurde. Einen schöneren Fleck am Meer mitten in Tripolis gibt es nicht. Mohammed ist der Chef einer kleinen Rebellengruppe aus Misrata, die das Gelände bewacht. Innerhalb der dicken Mauern befindet sich auch die vergleichbar bescheidene Villa eines Gaddafi-Vertrauten. Dort haben ein Dutzend Rebellen aus Zintan Quartier bezogen.
Saadis Prunkvilla war geschützt mit massivem Panzerglas und einer elektronisch verriegelten Tür. Die protzige, aber nicht eben geschmackvolle Einrichtung ist zerstört. "Das waren die Bewohner der umliegenden Hochhäuser, nicht die Rebellen" , stellt Mohammed klar. Am meisten erstaunen ihn das große Zelt im Garten und eine afrikanische Strohhütte mit großem Grill. "So lebt kein Libyer" , wundert sich der junge Juwelier mit eigenem Atelier. Schauergeschichten erzählt er über den Hundezwinger. Saadi soll missliebige Menschen den Tieren zum Fraß vorgeworfen haben.
Auf dem Anwesen haben die Rebellen eine Röhre gefunden, die als Durchgang bis zum Bab al-Aziziya, dem Gaddafi-Compound, führt, der etwa vier Kilometer entfernt liegt. "Allerdings konnten wir nicht den ganzen Weg abschreiten, weil es nicht genug Sauerstoff gibt" , präzisiert Mohammed. Die Tunnel sind einer der großen Anziehungspunkte für die tausenden Menschen, die am Wochenende zu Gaddafis "Schloss der Angst" strömen, wie die Einheimischen diesen mehrere Quadratkilometer großen Komplex, eine Mischung aus Wohnhäusern und Kasernen, nannten.
Einstiege gibt es ganz viele. Die meisten sind klein, und nur steile Leitern führen hinab - eine Kletterpartie, die sich junge Männer gern antun. "Er hat sich eingegraben wie eine Maus" , findet Mohammeds Onkel. Es gibt aber auch bequeme Treppen, die in das unterirdische Labyrinth führen. Die Räume waren mit 30 Zentimeter dicken Stahltüren geschützt, über eine Kommunikationszentrale, die eine Kleinstadt versorgen konnte, wurde die Verbindung zur Außenwelt sichergestellt. Strom gibt es keinen mehr. Licht fällt nur durch ein Loch in der Decke. Es ist einer der Krater, die die Nato-Bomben geschlagen haben.
Abdel Salam ist aus Khoms, 120 Kilometer westlich von Tripolis, angereist. Er kann immer noch nicht glauben, was er sieht. "Früher haben wir uns nicht einmal getraut, die Mauer anzuschauen" , beschreibt er die Angst. Am 23. August wurde Bab al-Aziziya in wenigen Stunden befreit. Am meisten Interesse weckt das von den Amerikanern 1986 zerbombte Gebäude, vor dem der Diktator die letzten Reden während der Revolution hielt. Familien streifen durch die Trümmer der Macht mit Kindern, die nur wenige Tage alt sind. Rebellen feuern immer wieder Freudensalven in die Luft. Ein älterer Herr weist zwei junge Männer zurecht, die Glasscheiben in einem Pavillon zerschlagen. "Die Zeit der Zerstörung ist vorbei" , bemerkt er ungehalten. Es herrscht eine fröhliche, fast ausgelassene Stimmung. Kinder vergnügen sich auf einem Karussell aus drehenden Tassen und kreischen auf der Rutschbahn. "So riecht Freiheit. Niemals darf es hier mehr Orte gegen, die verbotene Zonen sind" , freut sich ein junger Vater.
Mehr als zwei Wochen nach der Befreiung von Tripolis scheint zumindest in der Hauptstadt alle Gefahr gebannt. Zu Tausenden drängt es die Menschen deshalb zum Feiertagsausflug ins Bab al-Aziziya und später auf den Märtyrer-Platz im Zentrum. Der Verkehr bricht in der ganzen Metropole während Stunden völlig zusammen. Eine Million Menschen sollen es gewesen sein, die die neue Freiheit in vollen Zügen genossen. (Astrid Frefel aus Tripolis/DER STANDARD, Printausgabe, 13.9.2011)