"Die Wiener ÖVP kann nur Relevanz bekommen über einen Parteiobmann oder eine Parteiobfrau mit Nimbus", sagt Görg.

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STANDARD: Die VP ist womöglich das nächste halbe Jahr auf Obmannsuche. Ist es gescheit, sich so lange Zeit zu lassen?

Görg: Es hat sehr wenig Einfluss auf die Performance der Wiener ÖVP, ob wir innerhalb von einer Woche einen neuen Parteichef haben oder erst in drei oder vier Monaten, weil die Partei sowieso in einer ungeheuer schwierigen Lage ist. Die Wiener ÖVP war immer irrelevant, mit zwei Ausnahmen: Mitte der 60er-Jahre, als der damals sehr bekannte Unterrichtsminister Heinrich Drimmel als Spitzenkandidat nach Wien kam, und 1976, als die damals große Zukunftshoffnung der ÖVP, Erhard Busek, nach Wien gegangen ist. Die Wiener ÖVP kann nur Relevanz bekommen über einen Parteiobmann oder eine Parteiobfrau mit Nimbus. Alles andere kann man völlig vergessen. Nur als Minister können Sie auf Augenhöhe mit dem Bürgermeister in ein Match gehen.

STANDARD: Wäre ein Staatssekretär auch geeignet?

Görg: Ein Staatssekretär ist von der Positionierung her nicht ideal, aber Sebastian Kurz hat ja noch die Chance, Minister zu werden.

STANDARD: Man hat das Gefühl, dass in Wien niemand Parteichef werden will. Gab es diese Situation schon einmal?

Görg: Ich verstehe das völlig. Ein zweites Credo von mir ist, einen Spitzenmann der Wiener ÖVP tauscht man nicht nach, sondern vor einer Wahl aus. Ein Neuer läuft sich in vier Jahren tot. Ich bin 1992 Parteichef in Wien geworden, bei der Gemeinderatswahl 1996 habe ich einen ÖVP-Klub zusammengestellt, dessen durchschnittlicher Intelligenzquotient sicher höher war als in jedem anderen Klub - inklusive Nationalrat. Aber das hat niemand mehr registriert, es hieß nur: In den ersten vier Jahren hat der Görg nichts zusammengebracht.

STANDARD: Christine Marek ist ein Jahr vor der Wahl gekommen ...

Görg: Die durchbricht meine These. Bei Gio Hahn war es richtig, der kam sechs Monate vor der Wahl. Da traut sich selbst in der Wiener ÖVP, die ja keine Intrige auslässt, niemand, den Parteiobmann anzupatzen, weil die Wahl bevorsteht. Vier oder drei oder zwei Jahre vor der Wahl gibt es noch genügend Gelegenheit, erst später Solidarität zu zeigen. Bei der Christine war das Problem: Sie wollte den Job überhaupt nicht, deshalb hat sie sich in der Bundespartei eine Positionierung einreden lassen, die unglaubwürdig und daher für sie persönlich tödlich war.

STANDARD: Heißt das, wer immer die Partei jetzt übernimmt, an dessen Sessel wird sofort gesägt?

Görg: So will ich das nicht sagen. Es wird ein halbes Jahr bis Jahr Ruhe sein. Aber wenn es dann keinen spürbaren Aufschwung gibt - und das wird schwierig - dann wird relativ bald die Frage gestellt werden, ob das der Richtige ist.

STANDARD: Welche Eigenschaften muss denn ein Parteichef haben?

Görg: Es muss jemand mit einem Nimbus sein, der große mediale Aufmerksamkeit hat. Das Problem der Wiener Parteiobleute ist ja, dass sie immer von vornherein heruntergeschrieben werden. Ich war vor zwei Jahren dafür, dass Wolfgang Schüssel Parteiobmann wird, der hätte den Nimbus gehabt, aber das ist vorbei. Es gibt die unterschiedlichsten erfolgreichen Parteiobmänner. Einer ist es, weil er besonders verbindlich und freundlich ist, ein anderer, weil er eher den Harten herauskehrt. So ein persönliches Anforderungsprofil sehe ich gar nicht. Er muss einen positiv besetzten Namen haben, und das Talent, diesen Namen nicht gleich zu verspielen. (Andrea Heigl, DER STANDARD, Printausgabe, 13.9.2011)