Bernhard Felderer bleibt seinen liberalen Prinzipien treu. Eine Vermögenssteuer widerspreche dem Prinzip der Leistungsfähigkeit. Selbst bei der Anhebung der Grundsteuer hat der Ökonom neuerdings größere Bedenken.

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Standard: Die SPÖ setzt auf das Thema Verteilungsgerechtigkeit, die mit einer Vermögenssteuer erhöht werden soll.

Felderer: Die Vermögenssteuer ist für jeden, der davon etwas versteht, ein Horror. Von 30 OECD-Staaten haben nur noch drei eine Vermögenssteuer, 1995 waren es noch 15. Aus gutem Grund. Ein Grundprinzip der Besteuerung ist das Leistungsfähigkeitsprinzip. Wenn aber keine Einkünfte vorhanden sind, geht diese Leistungsfähigkeit nach ein paar Jahren verloren. Wenn man unabhängig von der Ertragslage besteuert, würde man viele Unternehmen zerstören. Außerdem ist es steuersystematisch verfehlt.

Standard: Unternehmen sollen ja nicht betroffen sein, sagt die SPÖ.

Felderer: Dazu komm ich gleich. Wir haben Bilanzen untersucht, bei denen ersichtlich wird, dass etwa 20 bis 25 Prozent der Betriebe selbst in der Hochkonjunktur Verluste erwirtschaften. Die Zahl springt dann in der Rezession auf 70 bis 75 Prozent hinauf. Das zeigt, dass mehrjährige Verlustperioden für Unternehmen überhaupt nicht selten sind. Wenn dann die Vermögenssteuer zusätzlich belastend wirkt, widerspricht das der Verfassung. Aus der Judikatur des Verfassungsgerichtshofs geht eindeutig hervor, dass eine Vermögenssteuer aus dem Ertrag des Vermögens abgedeckt werden muss, ansonsten entspricht das einer Enteignung. Das geht nicht.

Standard: Noch einmal: Betriebe sollen ausgenommen werden.

Felderer: Nehmen Sie an, jemand besitzt 100 Prozent der Aktien eines Industriebetriebs. Das ist sein Privateigentum. Wenn das Unternehmen keinen Gewinn macht, und der Eigentümer das Vermögen besteuern muss, wird er zum Verkauf seiner Anteile oder zur Belastung des Unternehmens gezwungen. Das ist ökonomischer Wahnsinn, weil Arbeitsplätze gefährdet werden. Die Vorstellung, dass die Leute das Milliardenvermögen irgendwo herumliegen haben, trifft fast nie zu. Selbst dort sind Aktien betroffen. Wenn es mangels Ertrags keine Dividenden und keine Wertsteigerung gibt, entspricht die Steuer einer glatten Enteignung, nichts anderem.

Standard: Die Vermögen der Reichen steigen aber tendenziell stark an, wie aus diversen Millionärsuntersuchungen hervorgeht. Glauben Sie ernsthaft, dass es wegen einer 0,7-prozentigen Steuer zu größeren Verkäufen kommen würde?

Felderer: Wenn der Wert seines Vermögens wächst, dann nicht. Da haben wir aber ohnehin die Capital Gains Tax.

Standard: Nur bei realisierten Verkäufen, bei einer reinen Wertsteigerung nicht.

Felderer: Die Unternehmen haben quer durch Europa einen Eigenkapitalmangel, in Österreich im Besonderen. Und wir diskutieren Maßnahmen gegen die Eigenkapitalbildung.

Standard: Selbst dann blieben noch Vermögende, die Grund, Häuser, Kunstwerke und Ähnliches besitzen. Hier würde eine Besteuerung wohl kaum ökonomische Schäden verursachen.

Felderer: Immobilien sind ein Sonderfall, weil sie nicht abwandern können. Aber auch hier muss man aufpassen. Immobilien können belastet werden, womit sich der Wert so vermindert, dass der österreichische Fiskus nicht viel davon haben wird. Das aufgenommene Geld wird dann im Ausland investiert. Die Vorstellung, dass irgendein Kapital auf Besteuerung nicht reagiert, die ist falsch. Finanzkapital ist auf Knopfdruck weg. Die Unternehmen verschieben ihre Gewinne bis zu einem gewissen Grad mithilfe von Verrechnungspreisen. Was glauben Sie, wie leicht es ist, ein Unternehmen in Österreich auszuhungern und die Filiale in der Schweiz oder sonst wo zu pushen.

Standard: Zuletzt haben Sie in der Grundsteuer noch das größte Potenzial betreffend vermögensbezogene Abgaben gesehen.

Felderer: Nur bedingt. Ohne Freibeträge kommt es bei einer Anpassung der Grundsteuer zu einem Sturm der Entrüstung. Da muss man mindestens 300. 000 Euro nehmen, so viel kostet heute schon ein kleines Häusl. Bei einer einprozentigen Steuer auf die Verkehrswerte kommt dann genau so viel heraus wie heute. Einen unvorstellbaren Aufwand zu treiben, um die Verkehrswerte festzustellen, wäre völliger Wahnsinn. Man muss auch an die Kosten der Einhebung denken. Wenn, dann wäre eine geringe Anhebung des Einheitswertes vorstellbar.

Standard: Wenn Sie keinen Spielraum bei Vermögen sehen: Wie sollte die Verteilungsgerechtigkeit in Österreich erhöht werden.

Felderer: Österreich liegt bei der wichtigsten Kennzahl, dem Gini-Koeffizienten, sehr gut. Von den alten EU-Staaten befindet sich nur Schweden vor uns. Es stimmt auch nicht, dass sich der Wert in den letzten Jahren signifikant verschlechtert hätte. Keine Gesellschaft kommt ohne Ungleichheit aus. Auch das kommunistische Experiment ist gescheitert. Stalin hat bereits in den 30er-Jahren heimlich die Löhne für gewisse Gruppen erhöht. Außerdem gibt es überhaupt keinen Zusammenhang zwischen vermögensbezogenen Steuern und Verteilungsgerechtigkeit. Es gibt Länder mit hoher Besteuerung, wie Großbritannien und Spanien, die eine ungleiche Verteilung haben. Relative Gleichheit wird durch Sozialversicherung und Subventionen des Staates erreicht.

Standard: Themenwechsel: Eine Insolvenz Griechenlands scheint nun kein Tabu mehr zu sein. Wie beurteilen Sie das?

Felderer: Die Frage ist immer, was billiger ist: ein Default Griechenlands, bei dem die griechischen Banken aufgefangen werden müssten und andere europäische Banken Staatshilfe benötigen; oder wir finanzieren und hoffen, dass Griechenland zurückzahlen kann. Doch mittlerweile ist klar, dass Griechenland weit mehr als fünf Jahre benötigen wird, um an die Kapitalmärkte zurückkehren zu können. Die beiden Varianten werden neu abgewogen. Viel hängt davon ab, ob Italien es schafft. Für Europa ist ein Hilfspaket Italien jedenfalls eine Nummer zu groß. (Andreas Schnauder, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14.9.2011)