
David Guetta hat zwar nur ein Lied, das aber verkauft er immer wieder. Zu hören auf seinem neuen Album "Nothing But The Beat".
Wien - Selbst eine so vermeintlich freie Disziplin wie die Popmusik gehorcht eisernen Regeln. Eine davon lautet: "Give the people what they want." Wer diese Vorgabe erfüllt, produziert noch nicht gute, schöne oder gar wahre Kunst, aber die Wahrscheinlichkeit, sich ein Haus in der Nachbarschaft von Dieter Bohlen leisten zu können, steigt.
Einer der weltweit erfolgreichsten Pop-Populisten ist der französische DJ David Guetta. Eben hat er sein fünftes Album veröffentlicht, Nothing But The Beat heißt es. Als solch simples Versprechen dröhnt seine Musik seit gut zehn Jahren aus den Großraum-Discos der Welt, lässt Golf-GTI-Fahrer Bleifuß und Blondinen Arschgeweihe beim Tätowierer in Auftrag geben.
Das Erfolgsrezept des 43-Jährigen hat sich seit seinem ersten Hit Just A Little More Love nicht verändert. Er nimmt angesagte Ästhetiken wie R'n'B oder das, was aus HipHop geworden ist, und belegt damit seine elektronische Tanzmusik. Aktuelle Kollaborateure dieser Strategie sind US-Rapper wie Snoop Dogg, Flo Rida, Timbaland oder Lil Wayne, die mit solchen Gastauftritten oft mehr Aufmerksamkeit erzielen als mit eigenen Werken.
Sie singen Titel wie Where Them Girls At oder I Just Wanna F. Das ist es, was die "people" von Guetta wollen, und er gibt ihnen reichlich. Zwar variiert der zweifache Vater seine Intros, lässt lieblich ein Piano klimpern, das manchen Tracks Neuausrichtung und Bedeutung verspricht. Aber kaum tut sein auf diese falschen Fährte gelocktes Publikum einen Seufzer, fährt Guetta sein Einserprogramm hoch und schießt aus allen Rohren.
Die Spielhalle schießt zurück
Guettas Musik brettert nicht nur aus den Spielhallen von Vergnügungsparks, sie kommt von dort. Seine Arbeit kann man sich als orchestriertes Resultat von Flipper-Geklingel, Watschenmann-Wumme und Game-Soundtrack vorstellen. Dazu lässt er vom Vocoder verfremdete Stimmen die Segnungen der ewigen Party beschwören.
Das klingt so einfach wie billig, aber damit verkauft der Jetset-DJ Millionen Alben und Downloads. Seine Gagen für ein paar Stunden Ballermann sind im hohen sechsstelligen Bereich angesiedelt. Wo immer eine willfährige Masse auf dem Dancefloor in Bewegung gehalten werden muss, der Mann mit dem Scheitel, der sich nicht zwischen Mitte und Seite entscheiden kann, ist zur Stelle.
Er sorgt für Ekstase auf Ibiza, bringt Tanztempel von Südamerika bis Japan zum Kochen und platziert seine Produktionen regelmäßig in den US-Dancecharts ganz oben. Nur für diesen Markt scheint er seine meist von dort kommenden Gastsänger zu brauchen.
Ansonsten gilt: "Nothing really matters in the club, but the beat". So flötet Will.I.Am zu der Kinderliedmelodie von Nothing Really Matters. Wobei Texte von Dancefloor-Stücken tendenziell keiner Literaturkritik standhalten. Schließlich halten Clubs keine Symposien ab, sondern sind Orte einfacher Vergnügungen.
Dementsprechend stellt Guetta kontextfreie Slogans, passend gemacht zur Musik. Einzige Auflage: Die Lyrics sollen optimistisch sein, oft goschert, die Boys sind meist brünftig, die Girls immerhin selbstbewusst; wenngleich der Weg zum Feminismus weit ist. So singt Snoop Dogg in der Radioversion von Sweat: "I wanna make you sweat", in der Clubversion: "I wanna make you wet." Voll arg.
Freund von Daft Punk
Die hehren Vertreter der Club-Kultur haben es mit Guetta schwer, betrachten den Sunnyboy eher als Negativwunder. Schließlich gilt der Club immer noch als Keimzelle neuer Trends und hat mit etablierten Stars ab einer gewissen Größenordnung traditionell Probleme. Guettas Selbstbild erleichtert das Handling auch nicht, denn trotz Superstar-Status insistiert er darauf, Teil der Szene, einer aus der Community zu sein. Schließlich hat er vor seinem Durchbruch angesagte Clubs in Paris veranstaltet, ist mit dem vergleichsweise krediblen Produzenten-Duo Daft Punk befreundet, hat vom Amtsweg her eigentlich alles richtig gemacht - bloß dass ein Superstar in dem Szenario nicht vorgesehen ist.
Während Guetta die einen also nur den Kopf schütteln lässt, bewegen andere den ganzen Körper. Seine Musik ist so abstoßend wie anziehend, so berechnend wie schweißtreibend. Sie hat keinen höheren Zweck als den momentanen Genuss. Und ihr vorzuhalten, sie sei geistfrei, ist seit I Wanna Hold Your Hand von den Beatles leider sinnlos.
Besser macht sie das allerdings auch nicht. (Karl Fluch, DER STANDARD/Printausgabe 14. September 2011)