Günter Stummvoll ist als Abgeordneter im Nationalrat nicht mehr tragbar. Der ÖVP-Mandatar ist Vorsitzender des parlamentarischen Finanzausschusses, der auch für das Glücksspiel zuständig ist. Dennoch nahm Stummvoll parallel dazu die Funktion des Aufsichtsratschefs in Frank Stronachs neuem Glücksspielkonzern ein - und fand nichts dabei. Erst nach Protesten der Opposition (Stummvoll selbst sah sich "durch den Schmutz gezogen") zog sich der ÖVP-Abgeordnete vergangene Woche zurück - aus dem Glücksspielkonzern, nicht aus der Politik. Er ist immer noch Vorsitzender des Finanzausschusses.

Ein solches Verhalten müsste zu einem öffentlichen Aufschrei führen. Es ist ein klassischer Fall von Unvereinbarkeit. Stummvoll hat auch unumwunden zugegeben, für ein Poker-Kasino mehrfach beim Bundeskanzler interveniert zu haben. Das kann es doch nicht geben, dass ein Glücksspiellobbyist gleichzeitig jenem Gremium im Parlament vorsteht, das politisch für das Glücksspiel zuständig ist. Und dennoch passiert - nichts. Stummvoll selbst hat keinerlei Unrechtsbewusstsein. Das spricht nicht für ihn und nicht für seine Partei, die er im Nationalrat repräsentiert.

Vizekanzler und ÖVP-Chef Michael Spindelegger verliert jede Glaubwürdigkeit, wenn er bei Stummvoll keine Unvereinbarkeit sieht, ihn an der Spitze des Finanzausschusses belässt, gleichzeitig aber ein "großes Transparenzpaket" ankündigt und Korruption bekämpfen will.

Natürlich bedarf es einer rechtlichen Straffung in der Korruptionsbekämpfung, natürlich macht ein Lobbyistenregister Sinn, es braucht eine gesetzlich verordnete Offenlegung aller Parteispenden, eine Offenlegung der Einkünfte der Abgeordneten, es braucht eine transparente Darstellung aller Regierungsinserate. Aber wer hat das am Dienstag im Parlament diskutiert? Abgeordnete wie Stummvoll.

Es bedarf nicht nur besserer Gesetze, es bedarf offenbar auch besserer Abgeordneter. Man darf von einem Politiker ein Maß an Verantwortungsbewusstsein voraussetzen, man darf Rechtsbewusstsein einfordern, man darf Anstand erwarten. Wenn das Parlament nicht imstande ist, hier ein Problembewusstsein zu entwickeln, verliert es seine Glaubwürdigkeit. Nur weil bei uns eine moralische Lethargie um sich greift, braucht man sie nicht hinzunehmen. Wenn Politik keine Werte mehr hochhält, hat sie auch keine Vorbildfunktion. Dann bleibt sich jeder selbst der Nächste.

Stummvoll ist nur ein Beispiel. Politiker wie ihn, die sich selbst (und jenen, die dafür zahlen) die Nächsten sind, gibt es auch in anderen Parteien und auf anderen Ebenen. Vielleicht nur nicht ganz so dreist.

Auch Bundeskanzler Werner Faymann, der öffentliche Inseratenströme ganz eigennützig zu ihm wohlgesonnenen Medien lenkt, ist ein Beispiel für die Unverschämtheit, mit der Politiker mein und dein verwechseln und Anstand und Überzeugung durch Geschäft und Gegengeschäft ersetzen.

Die moralische Unzulänglichkeit des politischen Systems ist zuletzt immer greifbarer geworden. Dabei bedarf es nicht eines "Transparenzpakets", das ist ohnedies nur eine rhetorische und juristische Finte. Es braucht ein Empfinden von dem, was man einst als Redlichkeit bezeichnet hat - als Handlungsanleitung für Politiker. Dann bräuchte es diesen Leersprech nicht mehr, dann wäre es auch glaubwürdig, für Gerechtigkeit und Leistung einzustehen. (DER STANDARD-Printausgabe, 14.9.2011)