Birol Kilic brandmarkt in seinem Gastkommentar auf derStandard.at mehrmals den so genannten "politischen Islam" und verweist auch in diesem Zusammenhang auf den IGGIÖ Präsidenten Sanac. Und auch wenn er sich unsachliche Momente in seinem Kommentar nicht verkneifen hat können, was eingedenk der Bedeutung des Themas sehr wichtig gewesen wäre, gebe ich dem Herrn in der Sache recht: Es gibt politisierende Personen und Gruppierungen, die die Religion der Muslime tatsächlich instrumentalisieren.

Guter und richtiger Islam?

Doch sind es in diesem Fall nicht oder nicht nur die üblichen Verdächtigen aus dem "konservativen" Eck (eine unschöne Verallgemeinerung), sondern durchaus auch selbst ernannte "Liberale" und sonstige "Zwangsbeglücker" und "Zwangsaufklärer", die mit den gleichen Methoden und einem beängstigenden Absolutheitsanspruch antreten wie ihre "konservativen" Widersacher. Immer wieder bricht der (sunnitische) Imam respektive der (alevitische) Dede in Kilic durch und man bekommt plötzlich Dichotomie in Reinkultur zu lesen: Da gäbe es eben den "falschen Islam" und folglich den Kilic'schen Islam und jede freie Wahl wäre somit ja obsolet, da man ja schließlich den guten oder eben richtigen Islam vorzuziehen haben würde. Wer sich an dieser Stelle an die autoritären und eintönigen Interpretationsansätze islamistischer oder eben islamophober Exponenten erinnert, der würde Kilic gewiss Unrecht tun.

Religion und Staat im Spannungsverhältnis

"Din ve Devlet" (zu deutsch: Religion und Staat) ist ein beständiges Spannungsverhältnis, egal ob im Osmanischen Reich, der türkischen Republik oder eben der österr. Republik: Vereinnahmungsversuche und Politisierung der Religion waren und sind Aktivposten politisierender Einzelpersonen und Parteien. Und entgegen dem durch Kilic gezeichneten Bild sind es eben nicht nur wertkonservative und traditionelle Personen und Gruppen, sondern eben auch (vermeintliche) Liberale und etwa "politische Aleviten".

Politischer Islam und Pluralismus 

Es ist vor allem die Diktion, die Birol Kilic verrät, denn wer von "richtigen" und "falschen" Interpretationen spricht, bedient sich desselben Instrumentariums wie eben etwa die Schüler des Abdul Wahab (gemeinhin „Wahabiten" genannt). In diesem Sinn behauptet Kilic ebenso, es gäbe ja im Grunde keine Diskrepanz zwischen den universellen Menschenrechten und dem "Koran-Islam": Abgesehen davon, dass ein religiöses Werk mit knapp 1500 Jahren auf dem Buckel zwangsläufig in partiellem Widerspruch zu einem neuzeitlichen Wertekanon stehen muss, ist vor allem der Aspekt beängstigend, dass etwa islamistische Exponenten stur das Gegenteil behaupten, in dem sie sagen, es gäbe keinerlei Berührungspunkte etwa zwischen Demokratie und dem "wahren Islam". Beides ist ideologisch und autoritär vorgetragen.

Der "wahre" Islam

Warnend spricht auch der Islamwissenschaftler Thomas Bauer in einem jüngeren Interview von den Politisierungs- und Ideologisierungsversuchen durch neuzeitliche Ideen und anti-pluralistische Deutungsmuster . Die meisten Formen islamisch konnotierter Betätigung seien im Grunde Ausdruck einer zutiefst modernen (nicht progressiven) Gesinnung; das würde für eine Hizb ut Tahrir ebenso gelten wie etwa für Exponenten eines "liberalen Islam" in Österreich. Was also allen Formen des politischen Islam inhärent scheint, ist, der Absolutheitsanspruch oder eben die Idee von einem "wahren" Islam. Der Islam, wie er nach Bauer zu seiner Blütezeit war, stünde hingegen im Zeichen weitreichender sozialer und religiöser Toleranz.

Herrlich müssen die Zeiten gewesen sein, in denen etwa ein al Ghazali und ein Ibn Ruschd (Averroes) über Kontinente hinweg dem Pluralismus frönten und ein freies Spiel der Argumente und Meinungen (in der islamischen Welt) die Normalität war; heutzutage scheint es hingegen en vogue den Islam als einen monolithischen Block zu deuten.

Alternativen zur Politisierung

In Anlehnung an einen wenig beachteten, aber immens wichtigen Artikel des deutsch-türkischen Journalisten Eren Güvercin sollte man einen Neustart versuchen und zwar von der Basis ausgehend. Allen politischen und ideologischen Vereinnahmungsversuchen trotzend, sollte die Basis der Muslime in Österreich für die vergessenen Stärken des islamischen Kulturkreises eintreten: den Pluralismus und das hohe Maß an sozialer Toleranz.

Ob dies allerdings zusammen mit den politisierenden Elementen funktionieren wird, ist ungewiss. Und während man etwa diskutiert hat(te), ob und in wie weit anatolische Aleviten innerhalb des offiziellen, österreichischen Islam anzusiedeln wären, wäre es doch weiser und im Sinne eines pluralistischen Islamverständnisses gewesen, die anatolischen Aleviten selbst entscheiden zu lassen, ob sie sich innerhalb des offiziellen Islam in Österreich sehen und engagieren wollen.

Denn es ist tatsächlich keine Schwäche, dass es bis zum heutigen Tag zwar konkurrierende, aber eben nebeneinander existierende Rechtsschulen, Konfessionen und Interpretationsansätze gibt. Diese alte Stärke wieder zu entdecken, wäre sehr viel fruchtbarer, als die aktuellen Scheindebatten, um "richtigen" und "falschen" Islam. (Leser-Kommentar, Rusen Timur Aksak, derStandard.at, 14.9.2011)