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Im Mai feierten Studenten der Al Azhar-Universität von Gaza ein Versöhnungsabkommen zwischen der Fatah (gelbe Fahne) und der Hamas (grüne Fahne). Mehr als dieses Abkommen ist bislang freilich noch nicht passiert. (red)

Foto: EPA/MOHAMMED SABER

"Warten ist keine Option, wir wollen die Versöhnung mit der Hamas vorantreiben", versichert der Fatah-Politiker Sabri Saidam.

Mehr als vier Monate ist es her, seit die Hamas und die Fatah in Kairo ihr Versöhnungsabkommen unterschrieben haben. Doch ein Blick auf den Boden der Tatsachen zeigt, dass ein politisch geeintes Palästina in weiter Ferne liegt. Die UN-Generalversammlung könnte nächste Woche mehrheitlich für einen Palästinenserstaat stimmen, aber dieser Schritt auf dem Papier kann nicht über die Realität hinwegtäuschen, dass es die politischen Voraussetzungen dafür noch nicht gibt.

Um herauszufinden, wo die Versöhnung steht, habe ich in den letzten Wochen immer wieder die Perspektive von unten gesucht. In Hebron, wo Israel in letzter Zeit verstärkt gegen Hamas-Funktionäre vorgegangen ist, treffe ich die Parlamentsabgeordnete und Fatah-Politikerin Sahar Qawasmi. Die Versöhnung ist in ihren Augen ein langer Prozess. „Und ich muss zugeben, dass er noch ganz am Anfang steht", sagt sie, während wir in ihrem Büro sitzen. An der Wand hängt ein Porträt von Präsident Mahmud Abbas, daneben das von Yasser Arafat.


Wer in Hebron die Hamas unterstützt, behält das oft lieber für sich, denn ihre Anhänger werden weiterhin verfolgt. Wie am 21. August, als rund 100 angebliche Hamas-Anhänger vom israelischen Militär verhaftet wurden. Das setzt auch die Fatah unter Rechtfertigungsdruck, weil Israel bei solchen Einsätzen mit den palästinensischen Sicherheitskräften zusammenarbeitet. Für die Hamas ist das Mittäterschaft und indirekt auch Verrat.

Eine wahre Versöhnung kann laut Sahar Qawasmi jedenfalls nur dann stattfinden, wenn auch die gegenseitige Verfolgung und die „Brudermorde" der Vergangenheit aufgearbeitet werden. „Wer wurde von wem getötet und gefoltert? Zehntausende haben ihre Arbeit durch die Feindschaft verloren. Die persönlichen Wunden vieler müssen in einem Komitee angesprochen werden", sagt sie.

Aber ohne geographische Einheit, sprich einer Verbindung zwischen dem Westjordanland und dem Gazastreifen, könne es auch keine gemeinsame Politik geben, fügt sie hinzu. Zumindest teilweise habe sich auch etwas gebessert. Einige ihrer Fatah-Kollegen, die aus Gaza stammen, würden sogar an eine Rückkehr dorthin denken. „Die Hamas liebt uns nicht. Aber sie werden sie wenigstens nicht angreifen", meint sie.

Einen Satz hört man dort immer wieder: Die Menschen im Gazastreifen brauchen die Versöhnung, die besser gestellten Palästinenser im Westjordanland nicht unbedingt. Ohne Job-Perspektiven und von der Außenwelt abgeschnitten hoffen die Gaza-Palästinenser darauf, dass die Aussöhnung zu einer neuen erstarkten Regierung führt, die international Druck ausüben kann, damit die Grenzübergänge zu Israel irgendwann wieder geöffnet werden. In Ramallah fürchtet man eher den Verlust des Status Quo, an den sich viele schon gewöhnt haben.
Doch obwohl sich die Gaza-Bevölkerung nach einer Öffnung der Grenzblockade sehnt, wird sie auch von der Hamas um dieses Recht betrogen. Als islamistische Widerstandsbewegung profitiert diese sogar von der Isolation der eigenen Bevölkerung und forciert sie zusätzlich.

„Die Hamas braucht den abgeschnittenen Gazastreifen, um den Fortbestand ihres Regimes zu sichern", schreibt auch die israelische Journalistin Amira Hass, nachdem die Hamas einigen Studenten, die ein Stipendium für die USA hatten, die Ausreise verweigerte.

„Palästina" bleibt eine gespaltene Nation ohne die politischen Grundlagen für einen funktionierenden Staat. Da hilft auch der relativ erfolgreiche Aufbau von Institutionen durch Premierminister Salam Fayyad wenig. Ein Mitarbeiter der Wahlkommission in Hebron, der zur Zeit wegen den lange überfälligen Wahlen wenig zu tun hat, beschreibt das Grundproblem so: „Die Menschen hier wollen eine Versöhnung. Die politischen Parteien wollen sie nicht." Wenn sich daran nichts ändert, werde auch der Staat auf dem Papier bedeutungslos bleiben. (Andreas Hackl, derStandard.at, 14.9.2011)