Man kann es sarkastisch sehen und meinen, dass es vielleicht helfen könnte, den Zustand der Ratlosigkeit zu überwinden und - ähnlich dem ATV-Format Bauer sucht Frau - eine Sendereihe aus der Taufe zu heben, die sich "Partei sucht Kopf" nennt.
Man kann es destruktiv sehen und sagen (was viele enttäuschte Schwarze und auch sogenannte politische Aasgeier tun), die Wiener VP ist zu vergessen, braucht eh niemand mehr, ist schon so gut wie "Absterben-Amen".
Man müsste es aber längst anders sehen und mit dem Brustton der Überzeugung artikulieren: Diese Stadt braucht eine Volkspartei. Denn es wäre nicht nur Platz für eine ÖVP in Wien, sondern es besteht danach sogar ein echter Bedarf.
Und zwar: Neben einer macht-erstarrten SPÖ, die sich nach 66 Jahren ununterbrochener Regierungsgewalt längst einer auch demokratiehygienischen Regeneration unterziehen müsste.
Neben einer FPÖ, die die Vorurteile zum Credo ihrer Politik gemacht hat, die Ängste schürt, die die Kleingeistigkeit pflegt, die einen Ton in die Politik gebracht hat, der allzu oft vorgestrig klingt.
Neben einer Grünpartei, die sich zum Steigbügelhalter der SPÖ degradieren ließ, die - und mehr ist dazu nicht zu sagen - keine neuen Visionen in die Stadtpolitik gebracht hat, sondern nur noch Illusionen anhängt.
Jawohl, in Wien besteht Bedarf nach einer Politik für die urbanen Bürgerinnen und Bürger. Aus allen demoskopischen Erhebungen weiß man, dass Wien längst nicht mehr die rote Arbeiterstadt ist (die sie einmal war), sondern eine Metropole, mit einer ausgeprägten Dienstleistungsgesellschaft, mit einem Bildungsbürgertum, das sich gestalterisch in das Leben dieser Stadt einbringen will, das Interesse hätte, mit der Politik zu kommunizieren, am Meinungs- und Willensbildungsprozess mitzuwirken. Der Beweis dafür - und das kann man nie oft genug betonen - wurde 2009 bei der Europawahl von der Volkspartei erbracht, indem jede 3. Stimme eine persönlich von den Wählerinnen und Wählern eingebrachte Vorzugsstimme war. Nur dieses Potenzial hat man geradezu verkommen lassen.
Identitätskrise ...
Keine Frage, die Volksparteien - und das gilt nicht nur für Österreich, nicht nur für jene Parteien, die Mitte-Rechts, sondern (man sehe sich nur die SPD in Deutschland an, aber auch die Genossen in Österreich haben keinen Grund, sich in den Sack zu lügen, nur weil man in den Meinungsumfragen auf Platz 1 liegt) auch Mitte-Links angesiedelt sind - stecken in einer Identitätskrise. Es kommt nicht von ungefähr, dass die etwa aus der ostdeutschen SED hervorgegangene Linke sogar von den "Wessies" Zulauf erhält, dass rechtspopulistische Parteien wie der Front National in Frankreich reüssieren. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass das angesehene Allensbacher Meinungsforschungsinstitut erst in diesem Sommer der CDU zwar sagen musste, dass der Begriff "konservativ" nicht positiv besetzt ist, dass sie aber dafür den Begriff "christlich" stärker betonen sollte. Denn: "Da könnte man mehr daraus machen." Ein Ansatz zumindest zum Nachdenken.
... ohne Ausweg?
Die entscheidende Frage ist, wie kommt man aus der (politischen) Krise heraus? Es ist nicht das Grundsatzprogramm, das neu geschrieben werden muss, sondern es ist die praktizierte Politik, die neuer Impulse, neuer Ideen, neuer Personen bedarf. Eine urbane Stadtpolitik heißt nicht, die Nische der Hundstrümmerln zu bedienen, sondern sich von überkommenen Schrebergartenmentalitäten zu trennen. Heißt, sich weltoffen und europäisch zu zeigen (Wien liegt nun einmal im Herzen Europas). Heißt, nicht Menschen abzustoßen, sondern sich mit ihnen in einem fruchtbringenden Dialog auseinanderzusetzen. Heißt, sich nicht mit der zugebenermaßen hohen Lebensqualität zufriedenzugeben, sondern kreative Ideen zu entwickeln, einen neuen kulturellen Aufbruch zu inszenieren.
Politik heißt, dass man gestalten will. Politiker/-in zu sein heißt demnach, dass man diese Gestaltungskraft auch ausüben will. Offenbar gibt es aber in der (Wiener) ÖVP niemanden mehr, der das wirklich und ernsthaft anstrebt. Daran krankt die Partei, dass es an Personen mit Gestaltungswillen und einem Gestaltungskonzept mangelt. Wer auch immer gefragt wird, die Wiener ÖVP zu übernehmen, aus dem Dunkel der Krise an das Licht des Erfolgs heranzuführen, ein jeder sagt nur: "Ich nicht".
Verdammt noch einmal, warum tritt jetzt nicht jemand hervor, der klipp und klar sagt: "Ja, ich will." Und wetten, es ist keine Neugründung (ohnedies nur ein Schlagwort) notwendig, sondern es wird mehr als genug geben, die sich um diese Person scharen, die der Volkspartei damit neuen Auftrieb und Chance geben.(Herbert Vytiska, DER STANDARD; Printausgabe, 15.9.2011)