Es ist höchste Zeit, das Thema der türkischen Nuss anzusprechen. Nüsse essen beruhigt beim Anschauen der Fernsehnachrichten und beim Verwandtschaftsbesuch, hilft abends am kühlen Ufer mit der Weite des Meeres fertig zu werden oder unliebsame Magenwinde, die durch den Genuss kohlesäurehaltiger Getränke aufkommen wollen, zu unterdrücken. Die Nuss fehlt nie in der Türkei. Sie ist so eng mit dem Menschen und seinem sonderlichen Alltag verbunden, dass das Türkische nicht einmal ein eigenes Wort für „Nuss“ kennt, sondern gleich ins Detail geht. „Fındık“, was zur Not als Oberbegriff durchgeht, ist eigentlich die „Haselnuss“. In der Bar auf der Straße oder der Dachterrasse ordert man „çerez“ zum Bier, doch das sind nicht wirklich nur „Nüsse“, sondern auch „cips“ mit den schönen Geschmacksverstärkern, die staubtrockenen „leblebi“ (Kichererbsen) aus der Provinz Çorum und „sozlu mısır“ (geröstete Maiskörner).

Auch die gemeine Nuss-Klasse liegt in der Schale „çerez“ – Erdnüsse („yer fıstığı“), Sonnenblumenkerne („ayçekirdiği“) und Melonenkerne („kabak çekirdiği“), welche im Allgemeinen ihres günstigen Preises wegen auf Parkbänken vertilgt werden und anschließend kleine Pyramiden von Schalen bilden, die von der Stadtverwaltung meist beseitigt werden. „Çekirdik“ ist natürlich ein schönes Wort, das als Name und Programm Popgruppen oder Alternativ-Magazine ziert, reicht aber geschmackstechnisch nicht im Entferntesten an die wichtigste aller Nüsse heran, die „şam fıstığı“ – die Pistazie – oder richtigerweise, weil wir ja nicht über Damaskus reden, sondern Antep: „Antep fıstığı“.

Antep am anderen Ende der Türkei („Gaziantep“ heißt die Stadt seit dem erfolgreichen Aufstand gegen die Franzosen während des türkischen Befreiungskriegs; gazi = Veteran) ist das Epizentrum der türkischen Pistazie. Kultiviert wird sie in den Dörfern rund um Antep, ernten lässt sie sich nur alle zwei Jahre. Etwa sechs Wochen lang kann man „frische Pistazien“ („taze fıstık“) erwerben – diese Woche ist die letzte in Gaziantep. Danach wird nur noch in der Sonne getrocknet und im Ofen geröstet. Taze fıstık gelten manchen als besondere Delikatesse, sind aber eine rechte Plage für den ungeübten Europäer. Die rote Fleischschale samt Fäden muss man irgendwie wegzwirbeln und den Kern mit den Fingernägeln öffnen, bis endlich das rot-grüne Innere zum Vorschein kommt (es sind die Keimblätter), um das sich alles dreht. Verkaufsheischende Argumente wie „90 % çıtlak“ (90 % offen) sind eine freche Behauptung; im Test waren wenigstens 50 Prozent der Nüsse nach Wegzwirbeln und allem geschlossen und blieben es auch. Das mitteleuropäische Knackgerät ist dabei völlig sinnlos, weil zu groß und nur für Walnüsse („ceviz) oder allenfalls Mandeln („bâdem“) gemacht. Der Anteper besitzt dagegen einen Spezial-Pistazien-Knacker (fıstık kirma).

„Ben Antep fıstığı“ werden – um bei der hiesigen Werbung zu bleiben – gern zusätzlich mit dem Prädikat „hediyelik“ („als Geschenk“) oder „yolluk“ („für die Reise unterwegs“) versehen, was aber rein gar nichts über ihre Qualität aussagt. Die entscheidende Kategorisierung im Geschäft läuft je nach Reifegrad und nach Salzmenge. Es gibt Pistazien als „kırmızı iç“, mit „rotem Inneren“, „neverdi iç“ und schließlich „boz iç“ – die höchste Qualität; dies sind Kerne, die noch nicht reif geröstet wurden und ein „weißes Inneres“ haben. Sie werden zu einer enorm grünen Paste gemahlen, die für die Baklava in Antep verwendet wird. In Istanbul dagegen, so versichert der Anteper, helfen die Bäcker erst noch mit grünen Farbstoff nach.

Was man sonst noch im Nuss-Geschäft des Vertrauens in Antep findet: „wilde“ Pistazien, die eher wie Pfefferkörner aussehen und den an eine Krankheit erinnernden Namen „menengiç“ haben, aber durchaus schmackhaft sind; „menengiç“ gibt es auch in Kaffeeform. Daneben lässt sich „tarhane“ erwerben, Brocken von „dövme“ (einer Weizenart) und gewissermaßen versteinerten Joghurts, die mit heißem Wasser angerührt ein prima Frühstück ergeben. Mandeln mit halb offener Schale schließlich. Sie heißen „kabuklu bâdem“ oder „dış bâdemı“. Letzteres weist auf die bevorzugte Öffnungsweise durch Zuhilfenahme der Zähne (dış) hin, wovon man bei Mandeln mit Schalen und allen anderen Nüssen nur abraten kann. Nüsse essen zur Beruhigung im türkischen Alltag führt dann zu einem unberuhigenden Zahnarztbesuch. (derStandard.at, 15.9.2011)