Die eigenwilligste unter allen Ballerinen: Sylvie Guillem sucht sich ihre Projekte selbst aus.

Foto: Cooper

Russell Maliphant in "Shift" mit seinem Schatten.

Foto: Maliphant

Ihre Wege mussten sich irgendwann kreuzen, nachdem die einst von Rudolf Nurejew geförderte Sylvie Guillem (46) den traditionellen Ballettpfad verlassen hatte. Mit neunzehn Jahren war sie bereits Aushängeschild des Pariser Ballet de l'Opéra im Range einer "Etoile"-Tänzerin, die durch ihre selten in solcher Perfektion gesehene Virtuosität und Ausstrahlung beeindruckte. Sie konnte sich erlauben, gegenüber ihrem patriarchalischen Direktor Nurejew immer wieder ungehorsam aufzumucken.

Der gebürtige Kanadier Russell Maliphant (49) erhielt, an der Royal Ballet School in London, ebenfalls eine klassische Ausbildung und tanzte im Sadler's Wells Royal Ballet. Doch ihn zog es früher in den zeitgenössischen Tanz, und er arbeitete mit Gruppen wie dem DV8 Physical Theatre oder der Laurie Booth Company. Er gründete 1996 seine Russell Maliphant Company und hat sich mit seiner architektonischen Tanzsprache einen Namen gemacht.

Guillem durchlief jahrelang das klassische Bühnenrepertoire und galt bald als die "Primaballerina Assoluta" der Ballettwelt. Größen des modernen Balletts wie William Forsythe, Mats Ek oder Maurice Béjart interessierten sich sehr für die sensitive und wandelbare Ausnahmeerscheinung und schufen Stücke für sie. Bei Forsythe brillierte Guillem etwa 1987 in In the Middle, Somewhat Elevated.

Anfangs war er nervös

Nach ihren Stationen an der Pariser Oper und am Royal Opera Ballet entschied sich Sylvie Guillem für eine Karriere als freie Tänzerin, die sich ihre choreografischen Partner sehr genau auswählt und strikt ihren Weg geht. Mit Russell Maliphant arbeitet sie seit 2003 zusammen. "Ich war am Anfang nervös und wusste nicht, was da auf mich zukommt", erzählte Maliphant in einem Interview. "Die Arbeit begann klassisch und wurde im Verlauf immer fremdartiger."

Push ist die zweite von bisher drei gemeinsamen Arbeiten und wurde 2005 im Sadler's Wells in London uraufgeführt. Das erste Stück des vierteiligen Programms heißt schlicht Solo. Es bietet Guillem die Gelegenheit, ihr Format und Können zu demonstrieren. Zu spanischer Gitarrenmusik ereignet sich ein Wechselspiel aus gewundenen Bewegungen und der skulpturalen Eleganz ihres athletischen Körpers. In Two konzentriert sich Guillem auf Arme und Rücken, unterstützt durch das intensive Lichtdesign von Michael Hulls. Im dritten Teil, Shift, tanzt Maliphant, meditativ und minimalistisch. Die Wirkung des Tänzers wird von einer Schattenprojektion unterstützt.

Push ist das Finale und führt die beiden Tänzer schließlich zusammen, eindringlich und von großem Können getragen. Man sieht, wie sehr jeder auf den anderen eingeht. Sie tragen einander, verschmelzen oder kippen weg - "pushen" sich eben gegenseitig.

Ein Abend, der die Schönheit und Intelligenz von Tanz eindrucksvoll vermittelt. (Barbara Freitag/DER STANDARD, Printausgabe, 15.9.2011)