Das Feldherren-Duo Sarkozy & Cameron hat das Rennen nach Tripolis also gewonnen. Nur um Stunden sind die beiden am Donnerstag dem türkischen Regierungschef zuvorgekommen, der die Eleganz besaß, seinen Besuch im Nachbarland Tunesien zu strecken, um einen protokollarischen Zusammenstoß mit den beiden Last-Minute-Reisenden aus Paris und London zu vermeiden. Das Prinzip Kindergarten in der Außenpolitik hat gesiegt. Aber was soll das alles?
Im Kindergarten geht es um rasche Koalitionenbildung, forsch vorgetragene Besitzansprüche und Anerkennung durch die Lehrerinnen. Es ist mehr Taktik als Strategie, und jeden Tag wird neu entschieden. Das ist auch die Politik hinter der Libyen-Ambition von Nicolas Sarkozy, dem französischen Staatspräsidenten.
Sarkozy ist flexibel. Als Innenminister kündigte er an, die französischen Vorstädte von den rebellischen Kindern nordafrikanischer Einwanderer mit einer Wasserhochdruckspritze zu "säubern" . Als Präsident lud er Muammar el-Gaddafi samt Zelt nach Paris ein. Immer noch als Staatschef im Meinungstief, ließ er sich vom Allround-Philosophen Bernard-Henri Lévy einen Bombenkrieg gegen Gaddafis Libyen einflüstern. David Cameron, den britischen Premier, zog er mit. Jetzt, nach Gaddafis Sturz, will sich Sarkozy nicht die Show stehlen lassen. Schon gar nicht von einem türkischen Regierungschef, der zum Superstar der arabischen Welt aufläuft. Libyen gehört Sarkozy.
Libyen gehört aber auch Tayyip Erdogan. Die türkische Regierung hat sich in den vergangenen drei Monaten mächtig ins Zeug gelegt, um von ihrem Kurs der Mitte und des empfohlenen Miteinanders von Rebellen und Gaddafi-Treuen zurückzurudern. Am Schluss wurde in bar gezahlt, ein paar hundert Millionen Dollar angeblich, um den Betrieb des Nationalen Übergangsrats in Bengasi am Laufen zu halten. Erdogans Außenminister Ahmet Davutoglu flog selbst in die Stadt der Rebellen, um sich feiern zu lassen: Frankreich bombt, die Türkei hilft.
Zwei Politikernaturen und zwei Konzepte stehen einander im Mittelmeerraum gegenüber. Auch das zeigt das Rennen um Tripolis. Selbstverständlich geht es um Öl und Gas und Mega-Bauaufträge. Franzosen und Briten wollen eine Dividende für ihre Energiekonzerne einstreichen, die Türken an die lukrativen Verträge der Gaddafi-Jahre anschließen. Doch die politische Dimension ist unübersehbar.
Sarkozys Projekt einer EU-Mittelmeerunion zu Beginn seiner Präsidentschaft - ein Versuch, alte französische Machtsphären wiederherzustellen und ein Gegengewicht zu Deutschland und dessen Einfluss in Osteuropa zu bilden - war schnell gescheitert. Mit den alten arabischen Autokraten an einem Tisch erwies sich die Union als zu disparat. Der israelisch-palästinensische Konflikt spaltete zudem Europäer und die Mittelmeer-Anrainer im Süden. Der politische Umbruch in den arabischen Ländern, so glaubt Sarkozy, gibt einer französisch geführten Mittelmeerunion eine zweite Chance.
Erdogan dagegen will sein eigenes Erfolgsmodell im Mittelmeerraum exportieren: eine islamische Partei, die die Idee der Demokratie und der säkularen Verfassung geschluckt hat. Sein Streit mit Israel macht ihn nun populär. Es ist eine gefährliche Botschaft, die ins Gleichgewicht gebracht werden muss. Das zumindest könnten Sarkozy und Cameron mit ihren Reisen versuchen. (DER STANDARD, Printausgabe, 16.9.2011)