An den Grenzposten Jarinje und Brnjak im Nordkosovo sollen ab Freitag gemischte Teams aus Beamten der EU-Rechtsstaatsmission EULEX sowie kosovarischen Polizisten und Zöllnern im Einsatz sein. Innenminister Bajram Rexhepi, der Ende Juni den umstrittenen Einsatz der Sondereinheit Rosu anordnete, erklärt im Gespräch mit Bert Eder, wie man diesmal eine Eskalation vermeiden will, berichtet, dass sein Telefon abgehört wird, und erklärt die Vorzüge kosovarischer Agrarprodukte.
derStandard.at: Wer tritt zuerst der EU bei: Kosovo oder Serbien?
Bajram Rexhepi: Dass wir vor Serbien beitreten, ist ein bisschen unrealistisch. Wie alle Balkanstaaten hofft auch Kosovo auf eine EU-Perspektive. Kroatien wird wohl 2012 beitreten, Kosovo, Albanien und Bosnien liegen ungefähr auf gleicher Höhe. Serbien, Mazedonien und Montenegro haben auch einige Fortschritte gemacht. Wenn wir es bis Ende 2020 schaffen, bin ich zufrieden.
Bulgarien und Rumänien hatten großes Glück, aufgenommen zu werden, ohne alle Beitrittskriterien zu erfüllen. Aber das war eine politische Entscheidung – manchmal ist es durchaus sinnvoll, Länder trotzdem aufzunehmen, um dort Veränderungen einzuleiten. Vielleicht wäre dies auch eine Möglichkeit für andere Westbalkan-Staaten: schließlich geht es nur um weniger als 20 Millionen Menschen. Es kann nicht so schwierig sein, diese zu integrieren. Natürlich müssen aber gewisse Bedingungen erfüllt werden.
derStandard.at: Für wann rechnen Sie mit einer Aufhebung der EU-Reisebeschränkungen für kosovarische Staatsbürger?
Rexhepi: Ich war da früher sehr optimistisch, aber halte mich mittlerweile mit Prognosen zurück. Wir haben viele Verbesserungen erreicht und hoffen zu Jahresende eine Übereinkunft mit der EU-Kommission zu erreichen. Derzeit evaluiert eine Delegation der EU- Kommission mit unabhängigen Experten unsere Fortschritte bei der Integration Zurückgekehrter. In der zweiten Jahreshälfte 2012 hoffen wir, die technischen Voraussetzungen zu erfüllen, der Rest hängt dann nicht mehr von uns ab.
derStandard.at: Am Freitag wird Ihre Regierung erneut versuchen, Zollbeamte an die beiden Grenzübergänge, die derzeit von der KFOR administriert werden, zu schicken …
Rexhepi: Hier haben serbische Medien und Politiker viel Desinformation betrieben: der gestern beschlossene Plan wurde in Zusammenarbeit mit der kosovarischen Regierung, EULEX, KFOR und dem EU-Sonderbeauftragten Fernando Gentilini sowie der US-Botschaft erstellt. Wir werden lediglich Kommandos von Grenzpolizei und Zoll entsenden. Den operativen Betrieb übernimmt EULEX, und für die Sicherheit aller Beteiligten ist KFOR zuständig.
derStandard.at: Die Serben in dieser Region wollen dies verhindern und errichten erneut Barrikaden. Beim letzten Versuch kam ein Polizist der Spezialeinheit Rosu ums Leben. Was werden Sie diesmal anders machen?
Rexhepi: Wir haben kein Interesse, die Spezialeinheit in den Norden entsenden. Dafür sind EULEX und KFOR zuständig. Ob sie das mittels Hubschraubereinsatz oder auf dem Landweg erledigen, ist ihre Entscheidung.
derStandard.at: EU-Beauftragter Gentilini hat den Einsatz der Sonderpolizei-Einheit Ende Juli verurteilt …
Rexhepi: Gentilini und manche Europäer sehen es als höchste Priorität, eine Fortsetzung des Dialogs und ein gutes Gesprächsklima sicherzustellen. Für uns hat es Priorität, Recht und Ordnung herzustellen. Die KFOR muss ihre Zusagen einhalten, weil wir sonst gezwungen sind, zu handeln.
derStandard.at: Viele öffentliche Dienstleistungen im Nordkosovo werden nach wie vor von der Regierung Serbiens organisiert. Was gedenken Sie dagegen zu tun?
Rexhepi: Deutschlands Bundeskanzlerin Merkel hat hier sehr klare Worte an Serbien gerichtet: administrative Parallelstrukturen im Norden des Kosovo müssen abgebaut werden. Wenn sie das nicht tun, müssen wir handeln: wir wollen aber keine neuen Spannungen herbeiführen, sondern Schritt für Schritt vorgehen und hoffen auf neue Regionalwahlen im Norden, die noch heuer oder Anfang nächsten Jahres stattfinden könnten, um den Ahtisaari-Plan zu erfüllen und sicherzustellen, dass wir Ansprechpartner im Norden haben.
derStandard.at: Führen Sie in dieser Angelegenheit Verhandlungen mit Serbien?
Rexhepi: Nein. Unsere internen Angelegenheiten diskutieren wir nicht mit Serbien.
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derStandard.at: Sie haben sich darüber beklagt, dass internationale Organisationen ihr Telefon abhören. Warum sollten diese so etwas tun?
Rexhepi: Das geschieht seit 2002, als ich Premierminister war. Ich weiß nicht, wer genau dahinter steht, ob es UNMIK, Eulex oder ausländische Geheimdienste sind. Dies dürfte eigentlich nicht geschehen.
derStandard.at: Wissen Sie von einer Untersuchung, die gegen Sie laufen könnte?
Rexhepi: So etwas muss es wohl sein. Wir haben mit den beiden Mobilfunk-Betreibern PTT und IPKO vereinbart, dass nur auf richterliche Anordnung abgehört werden darf. Unsere Polizei hält sich daran, aber Eulex und UNMIK glauben, über dem Gesetz zu stehen. Wenn ich genug Beweise gesammelt habe, werde ich vor Gericht gehen.
derStandard.at: Gibt es Fortschritte in Ihrer Heimatstadt Kosovska Mitrovica, wo sie Bürgermeister waren, zu vermelden? Wohnen sie immer noch im Norden der Stadt, wo hauptsächlich Serben leben?
Rexhepi: Ich bin zumindest jedes Wochenende dort, ja. Um dort wirkliche Fortschritte zu erzielen, müsste man gegen die kriminellen Gruppen vorgehen, die die dortige Bevölkerung in Geiselhaft halten. Diese setzen sich nicht nur aus Serben, sondern auch Albanern zusammen – der Kriminelle hat schließlich nur ein Ideal: Geld. Erst wenn Recht und Ordnung sichergestellt sind, können wirkliche Fortschritte erzielt werden. Wir ermitteln gegen diese kriminellen Netzwerke und hoffen, bald konkrete Resultate in der Hand zu haben.
derStandard.at: Sind sie mit den gesetzlichen Voraussetzungen zufrieden?
Rexhepi: Das Problem sind weniger die Gesetze, sondern fehlende Rechts- und Staatsanwälte. Wir sind aber dabei, die Missstände im Justizbereich zu bekämpfen. Die Polizei erfüllt ihre Aufgaben sehr zufriedenstellend: sie ermittelt und verhaftet, aber die Justiz ist schwach. Mit Hilfe der Eulex hoffen wir aber, dies bald zu ändern.
derStandard.at: Wie sind sie mit den serbischen Beamten in Ihrer Polizei zufrieden?
Rexhepi: Manche sind wirklich in Ordnung, aber sie stehen unter starkem Druck durch Politiker und Kriminelle. Manche stehen auf der Gehaltsliste der Kosovo-Polizei, arbeiten aber den Gangstern zu. Wir wollen die Polizei von solchen Elementen säubern und sind gerade dabei, neues Personal einzustellen. Viele junge Serben sind sehr interessiert daran, in die Kosovo-Polizei einzutreten.
derStandard.at: Wie gedenken Sie, gegen die grassierende Korruption vorzugehen?
Rexhepi: Es ist ein Anti-Mafia-Gesetz in Vorbereitung, das die Beschlagnahmung auf kriminellem Weg erworbener Besitztümer erleichtern soll.
derStandard.at: In einem Interview vor neun Jahren haben Sie große Hoffnungen in den Export von Agrarprodukten gesetzt. Hier in Österreich gibt es immer noch praktisch keine Produkte aus dem Kosovo. Warum?
Rexhepi: Das scheitert vor allem an den Serben, die unsere Exporte behindern, indem sie uns den Transit verweigern. Bis zum Vorjahr hatten wir einen Sonderstatus beim Export hochqualitativer Lebensmittel in die EU, der jetzt leider abgelaufen ist und neu verhandelt werden muss. Wir produzieren wunderbare Kartoffeln, Tomaten und auch Wein. Beim Export in die EU tun wir uns allerdings schwer. So gibt es immer noch keinen Bar-Code für Kosovo, fünf EU-Staaten haben uns immer noch nicht anerkannt.
derStandard.at: Glauben Sie, dass die Trepča-Mine irgendwann wieder profitabel geführt werden können wird?
Rexhepi: Solange der legale Status und die Schuldenfrage nicht gelöst sind, wird das schwierig. Dann müssen immer noch Investoren gefunden werden, die die Errichtung neuer Anlagen finanzieren. Ein Gesetz, das den rechtlichen Status klären soll, wird aber bereits im Parlament debattiert. (derStandard.at/15.9.2011)