Für Osama bin Laden kam der Tod aus den Gewehrläufen amerikanischer Elitesoldaten. Dieser Umstand ist nicht nur ein Detail der riskanten Kommandoaktion, die für so manchen erst das tatsächliche Ende von 9/11 markiert. Die Art und Weise, wie der Al-Qaida-Führer getötet wurde, unterminiert nämlich die seit fast zwei Jahrzehnten in Politik, Wissenschaft und Medien verbreitete Vorstellung, dass die USA und ihre westlichen Verbündeten nicht mehr länger fähig und willens seien, die zur Kriegführung notwendige Risiko- und Opferbereitschaft aufzubringen. Um eigene Verluste möglichst zu minimieren, werde daher - so die Auffassung mancher Experten - die Kriegführung aus der Luft beziehungsweise Distanz zunehmend attraktiv. "Cruise missiles" statt "boots on the ground" - so müsste sich die Kriegführung im postheroischen Zeitalter demnach abspielen. Die Realität sieht anders aus. Die Kriege im Irak und in Afghanistan werden mit "Cruise missiles" und "boots on the ground" geführt.
Verluste undenkbaren Ausmaßes
Amerika ist nicht prinzipiell risikoavers und postheroisch: Es akzeptiert personelle Verluste in einem Ausmaß und über einen Zeitraum hinweg, die vor 9/11 lange Zeit undenkbar waren. Warum? Weil die Anschläge an jenem Septembermorgen die Bedrohungswahrnehmung und damit auch die Risikobereitschaft der amerikanischen Politik und Gesellschaft fundamental verändert haben.
Wie unter einem Brennglas zeigt sich dieser Befund beim Blick auf die Entscheidungsfindung im Vorfeld des Zugriffs auf bin Laden. Vor die Alternative Luftangriff oder Einsatz von Spezialeinheiten am Boden gestellt, entschied sich der amerikanische Präsident für die zweite und deutlich riskantere Option. Obama wollte sichergehen, dass es sich beim Angriffsziel tatsächlich um den saudischen Terrorpaten handelte. Ein atomisiertes Haus als Folge eines Luftangriffs hätte diese Gewähr unmöglich bieten können. Anders ausgedrückt: Der potenzielle Gewinn bestimmt den Einsatz, nicht das Risiko.
Eine Schwalbe macht bekanntlich noch keinen Sommer. Und so wäre es unzulässig, anhand eines Beispiels die Idee von der postheroischen Verfasstheit Amerikas widerlegen zu wollen. Weitere Anzeichen deuten jedoch in dieselbe Richtung: 6.236 SoldatInnen haben die amerikanischen Streitkräfte in dem bereits volle zehn Jahre andauernden Krieg gegen den Terrorismus verloren. 31 davon starben im vergangenen Monat an einem einzigen Tag. Im Rahmen der Doktrin der Aufstandsbekämpfung wurden im Irak und in Afghanistan Taktiken wie das Partnering mit einheimischen Sicherheitskräften adaptiert - ungeachtet des damit zunehmenden Risikos weiter wachsender eigener Verluste.
Weder heroisch noch postheroisch
Weder im Falle des Irak- noch des Afghanistankrieges sind die sinkenden Zustimmungsraten primär auf steigende Verluste zurückzuführen. Es sind vielmehr Zweifel an Sinn, Zweck und am Erfolg, die hier ausschlaggebend sind. An diesem Punkt verstärken wachsende Verluste den Abwärtstrend weiter. Es ist somit nicht das Opfer an sich, sondern das als sinnlos erachtete Opfer, das Ablehnung hervorruft.
Die USA sind weder heroisch noch postheroisch. Die Risikobereitschaft von Gesellschaft und politischer Führung hängt entscheidend davon ab, was ihrer Wahrnehmung nach auf dem Spiel steht. Kategoriale Zuordnungen mögen attraktiv sein - der Realität, dass das Ausmaß akzeptabler Kosten kontextabhängig immer wieder neu bestimmt wird, entsprechen sie nicht. Das hat auch bin Laden nicht verstanden. Er, der Amerikaner wiederholt als schwach, zerbrechlich und feige charakterisiert hat, ist letztendlich seiner eigenen Fehleinschätzung zum Opfer gefallen. (Christoph Schwarz, derStandard.at, 16.9.2011)