Exzess am Taco-Stand: Tequila und Telenovelas-Schauen bringt das Blut in Wallung.

Foto: Lisbeth Kovacic

Carlotta von Mexiko und Kaiser Maximilian bei ihrem fatalen Einzug in Mexiko Stadt.

Foto: Lisbeth Kovacic

Eine "pasión rebelde" entspinnt sich zwischen dem Telenovela-Starr Gurrola und dem weiblichen Commandante.

Foto: Lisbeth Kovacic

Das Geheimnis einer guten Telenovela besteht darin, den Ausgang der Geschichte bereits in den ersten drei Minuten des Serienauftakts zu verraten, aber die ZuseherInnen dennoch über 500 Folgen an der Stange zu halten. Diesen Hinweis bleibt die Theaterperformance "Who shot the Princess?" zwar schuldig, doch an den sonstigen Telenovela-Ingredienzien wie Herzschmerz-Dramen, Pyrotechnik und Gewalt lässt das Stück nichts zu wünschen übrig.

"Texttransvestit"

Das Stück von Gin/i Müller, das dieser Tage eine Neuauflage in der Wiener Spielstätte "Brut" erfährt, nachdem das Ensemble im August in Mexiko Stadt zu Gast war, ist ein Gewaltakt, der distanzierte Wortakribie und unstillbare Sehnsucht im Stil der lateinamerikanischen Telenovela zu vereinen versucht. Dieser besteht zum einen aus einem "Texttransvestiten" (Zitat: Müller) von Elfriede Jelineks Stück "Prinzessinnen-Dramen" und zum anderen aus den Erzählsorten der Telenovelas. Über allem trohnt die Darstellung der mexikanischen Schauspielerin Flor Edwarda Gurrola, die einst selbst als Kinderstar aus der mexikanischen Serien-Industrie hervorging, und für "Who shot the Princess?" noch einmal eine - u.a. ihre - Telenovela erzählt.

So erfährt man in "Who shot the Princess?", dass Gurrola aus einer bekannten KünstlerInnenfamilie stammt (der Vater berühmter Theaterregisseur der 1960er und 1970er, die Mutter Bildhauerin mit ausgeprägten politischen Ansichten.) Das Leben im heutigen Mexiko ist hart, es herrscht Gewalt, Entführungen stehen an der Tagesordnung, Korruption und Drogenhandel behindern die demokratische Entwicklung. Im Stück erzählt Gurrola die Telenovela anhand dreier historischer Prinzessinnen-Figuren: als widerspenstiges Schneewittchen, als geltungssüchtige Carlota von Mexiko (die Gattin von Kaiser Maximilian) und als Künstlerin Frida Kahlo, die sich schließlich weigert, den Plot weiterzuspielen und das Publikum auf der Flucht vor dem skrupellosen Telenovela-Business in eine rebellische Leidenschaft ("pasión rebelde") führt.

Unbekannte Telenovela-Welt

Im europäischen Raum fand die Welt der Telenovelas bisher wenig Zustimmung bei den TV-ZuseherInnen (wer erinnert sich etwa noch an die "Die wilde Rose", die als eine der wenigen Telenovelas in den 1990ern auf deutschen Privatsendern gezeigt wurde?). Es wundert also nicht, dass sich auch Textautorin und Regisseurin Gin/i Müller nicht aus einer aktiven Fanperspektive dem Thema Telenovelas annäherte, wie sie dieStandard.at verrät. Als Performance-Künstlerin und Queer-Theoretikerin interessiert sie sich eher für die Frage, ob jenseits der schier endlosen Kitsch-Schleifen des Telenovela-Genres auch so etwas wie eine progressive Telenovela möglich ist. Mit "Who shot the princess?" lotet sie diese Frage auf einer formellen und politisch-inhaltlichen Ebene aus und kommt zu einem Happy End für die queere Fangemeinde.

Der Gedanke, das in Lateinamerika äußerst populäre Genre, zu politisieren, ist dabei nicht neu. Bereits die Zapatisten haben sich an der Adaption der Telenovela versucht. Das Ergebnis ist der Film "Corazon del Tiempo" (dt. Herz der Zeit), der eine Liebesgeschichte aus dem Herzen der Zapatisten-Bewegung verspricht. Er versucht die  Verbindung von Emotion und (in diesem Fall politischer) Aktion, was ja dem Kern des Genres Melodram entspricht.

Überhaupt ist das Politisieren und die Emotion kein Widerspruch, im Gegenteil. Der britische Theater-Regisseur und Theoretiker Peter Brooks hat bereits vor längerer Zeit festgestellt, dass das melodramatische in jeder revolutionären, öffentlichen Rede vorhanden ist. Und tatsächlich: Wer die PolitikerInnen-Reden zum 1. Mai verfolgt, wird bemerken, dass keine/r von ihnen auf die leidenschaftliche Verkörperung des Gesagten verzichten kann. 

Symposium "Melodrama und Rebellion"

Während sich bei herkömmlichen Telenovelas der politisch-soziale Prozess meist darauf beschränkt, dass eine Person in einem feindlich gesinnten Umfeld um Anerkennung kämpft, will die Theaterwissenschafterin Müller die Begriffe "Melodram" und "Rebellion" weiterdenken. Zu diesem Zweck wird es am kommenden Wochenende auch ein dreitägiges Symposium im Brut geben. Zentrale Fragestellung der Veranstaltung ist, wie sich politisches Begehren sprachlich und gestisch ausdrücken und verkörpern lässt. Neben Panels mit u.a. Therese Kaufmann, Flor Edwarda Gurrola, Tina Leisch, Oliver Marchart und Jens Kastner wird auch ein Filmporträt über die Arbeit von Juan Jose Gurrola mit Thomas Bernhard zu sehen sein ("Die Theatermacher") sowie an jedem Abend eine Motto-Party in der Bar Brut deluxe ("Latino-Rebel-Sounds", "Melodrama und Exzess").

Mit "Who shot the princess?" hat Gin/i Müller eine Tour de Force durch Textsorten, Genres, Begriffe, Theorieansätze und reale Biographien bestritten. Um als Zuseherin dabei nicht unterzugehen, ist es ratsam sich diese 90 Minuten von Historiendrama, Pathos und wunderbar stimmigen Wortkreationen hinwegtragen zu lassen. Wer wirklich verstehen will, was es mit Telenovelas und ihrem revolutionären Potential auf sich hat, der sollte dann das Symposium kommende Woche besuchen. (freu, dieStandard.at, 18.9.2011)