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Während Bauchspeicheldrüsenkrebs Erkrankte oft auch zu Diabetikern macht, ist für übergewichtige Diabetiker das Risiko, an bestimmten Krebsarten wie dem Pankreas-, dem Leber- oder dem Mammakarzinom zu erkranken, erhöht.

Die Zahlen sind dramatisch. Weltweit sind 366 Millionen Menschen an Diabetes erkrankt. Mehr als 4,5 Millionen Menschen sterben pro Jahr an den Folgen. Die Behandlungskosten belaufen sich auf 465 Milliarden Dollar jährlich. Von einem "Zucker-Tsunami" sprach Jean Claude Mbanya, Präsident der Internationalen Diabetes Federation (IDF), als er in Lissabon vor 17.000 Medizinern den Kongress eröffnete. Laut Hochrechnungen könnte es 2030 schon 600 Millionen Diabetiker geben.

Experten mahnen vor allem die Regierungen zum Handeln und auf die steigende Anzahl von Kranken zu reagieren. 90 Prozent aller Diabetiker leiden an Typ-2-Diabetes, der durch Übergewicht, ungesunde Ernährung und wenig Bewegung verursacht wird. Die Patientenzahlen steigen auch in Entwicklungsländern, wo sich westliche Lebensgewohnheiten durchsetzen. Vor allem Begleiterkrankungen von Diabetes wie etwa Herzkrankheiten, Schlaganfälle, Nerven- und Nierenschäden sowie Blindheit verursachen massive Problem.

Für Pharmafirmen ist Diabetes ein Milliardenmarkt. Viele ältere Medikamente werden als Generika verkauft. Konzerne wie Sanofi, Eli Lilly, Boehringer Ingelheim und Novo Nordisk arbeiten an neuen Wirkstoffen. Im vergangenen Jahr wurden mit Diabetes-Arzneien weltweit rund 35 Milliarden Dollar umgesetzt. Nach Schätzungen könnte dieser Umsatz bis 2015 auf 48 Milliarden Dollar steigen. Wachstumsmärkte sind China, Indien, Mexiko und Brasilien.

Einer der fachlichen Schwerpunkte des Kongresses war der Zusammenhang von Diabetes und Krebs. Während einerseits der sehr aggressive Bauchspeicheldrüsenkrebs die Erkrankten oft auch zu Diabetikern macht, ist andererseits auch für übergewichtige Diabetiker das Risiko, an bestimmten Krebsarten wie dem Pankreas-, dem Leber- oder dem Mammakarzinom zu erkranken, erhöht. "Das hängt vermutlich mit den hohen Insulindosen zusammen, die stark Übergewichtige benötigen, um den Langzeitwert HbA1c unter die gewünschten sieben Prozent zu drücken", erklärt Guntram Schernthaner, Primar an der Wiener Rudolfstiftung. Denn Insulin transportiert nicht nur den Zucker aus dem Blut in die Zellen, sondern wirkt auch als Wachstumshormon.

Wirkstoff-Kombination

Das tut es allerdings auch bei Tumoren. Der Fehler der Vergangenheit: Typ-2-Diabetiker, die mit Tabletten therapiert wurden und auf Injektionen umgestellt wurden, bekamen nur noch Insulin. Jetzt empfehlen die Mediziner, das Uraltmedikament Metformin weiterhin zu nehmen. Metformin, so Schernthaner, "kann das Krebsrisiko wieder um etwa 30 bis 40 Prozent senken. So gesehen sollten eigentlich alle Übergewichtigen, auch wenn sie noch keinen Diabetes entwickelt haben, Metformin nehmen."

In den Verdacht, Blasenkrebses zu fördern, kam kurzfristig auch das vom japanische Konzern Takeda hergestellte Medikament Actos, doch die Europäische Zulassungsbehörde EMA gibt Entwarnung. Actos und seine Fixkombination mit Metformin dürfen weiterhin verschrieben werden. Die Begründung: Während statistisch bereits mit der Behandlung von 144 Patienten ein Schlaganfall bzw. Herzinfarkt verhindert wird, braucht man andererseits 10.286 Patienten, um einen Fall von Blasenkrebs nachzuweisen.

Für manche Substanzklassen wie Gliptine (etwa Galvus von Novartis) gibt es noch keine Langzeitstudien, da sie erst seit kurzem zum Einsatz kommen. Allerdings wirken sie auch günstig bei der Gewichtsreduktion, und das könnte wiederum die Entwicklung von Krebs hemmen.

Das Resümee der österreichische Diabetesspezialisten in Lissabon fiel unterschiedlich aus. Harald Oschmautz vom Reha-Zentrum Althofen meinte: "Mein Eindruck ist, dass nicht viel weitergeht. In den großen Bereich der Prävention durch Bewegung wird kaum investiert. Dabei könnte man damit den Ausbruch von Diabetes verhindern." Die Wiener Diabetesspezialistin Kinga Howorka wiederum kritisierte, dass "wir mit unserem modularen Schulungsmodell und der funktionellen Insulintherapie FIT zwar bewiesen haben, dass gut geschulte Patienten nicht nur ihre Therapien befolgen, sondern auch weniger Folgeerkrankungen haben, aber trotzdem wird dem Thema kaum Platz eingeräumt." Helmuth Brath von der Diabetesambulanz der Wiener Gebietskrankenkasse resümierte, dass mit der Therapie der vergangenen Jahre die Wahrscheinlichkeit für Typ-2-Diabetiker, an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu sterben, halbiert worden wäre, die Wahrscheinlichkeit für Herzinfarkt, Schlaganfall und Beindurchblutungsstörungen jedoch immer noch doppelt so groß wie bei Gesunden sei.

Nicht Blutzucker allein

Auch die Entwicklung neuer Medikamente sei erfreulich, "man erwartet davon aber mehr, als nur den Blutzucker zu senken". Konkret sollen damit auch die Wahrscheinlichkeit für Spätschäden wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Erblindung, Nierenversagen, Amputationen, Nervenstörungen und Krebs reduziert werden. "Die beste Therapie ist aber noch immer die Prävention durch gesunde Ernährung, Bewegung, Nichtrauchen", so Brath.

Für den Diabetologen Bernhard Ludvik vom AKH Wien sind die neuen Substanzen deshalb interessant, "weil Patienten sie nur noch einmal in zwei Tagen oder nur einmal pro Woche spritzen müssen, um tadellose Werte zu haben. Das wird die Therapie erleichtern." (Peter Hopfinger aus Lissabon, DER STANDARD Printausgabe, 19.09.2011)