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Lernt die Hafenbecken im Mittelmeerraum ausgiebig kennen: Perikles (Simon Kirsch), reisender Fürst von Tyrus.
Lexikoneinträge zu einem ebenso betörenden wie kruden Stück.
Antiochus: Dieser König mit sprechendem Namen - er regiert tatsächlich Antioch - verkörpert in Shakespeares weithin unbekannter Romanze Perikles, Fürst von Tyrus das Prinzip des schlechthin Bösen. Er lebt mit seiner blendend schönen Tochter in Blutschande zusammen. Lässt sich ein Freier blicken, muss dieser ein Sprachrätsel lösen, in dem diffus auf den Inzest angespielt wird. Wenig verwunderlich also, dass Brautwerber Perikles auf die Kundgabe der Lösung liebend gerne verzichtet: Er müsste mit Vernichtung rechnen, denn so einfach will der Herr Papa seinen selbsterzeugten Bettschatz nicht herausrücken. Perikles tut etwas Grundgescheites: Er setzt in Tyrus einen Regenten ein und hisst die Segel für eine Bildungsreise.
Entstehung: Über die Urheberschaft des kaum jemals gespielten Perikles (erste Nennung: 1608) können sich die Stratfordianer nicht recht einigen. Zunächst war der Text in der berühmten Folio-Ausgabe (1623) gar nicht erst enthalten. Als grundsätzlich gesichert gilt die Tatsache, dass Shakespeare die ersten beiden Akte nicht aus der Feder geflossen sein können: Zu unbeholfen wirkt die Exposition. Als Co-Autor wird George Wilkins genannt, der seinerseits einen Perikles-Roman schrieb. Dieser könnte als Vorlage gedient haben, andererseits genauso gut erst in der Nachfolge des Theaterstücks entstanden sein. Das genealogische Tohuwabohu ändert nichts an der schieren Qualität, mit der sich der Text etwa ab dem ersten Drittel zu lichten Höhen aufschwingt. Wo Shakespeare draufsteht, ist manchmal eben doch Shakespeare drin.
Gower: Diesen englischen Verfasser (1330-1408) liebesmoralischer Gedichte (Confessio Amantis) hat sich Shakespeare zum Showmaster erkoren, um dem Publikum die teils skurrilen Schauplatzwechsel in seinem Perikles zu erklären. Gower räumt in einem seiner Botenberichte ein, dass es etwas kunterbunt zugehe in dem Drama. Das Mittelmeer wird in wenigen Versen durchmessen, die Jahre purzeln dahin - von den drei Einheiten des Aristoteles keine Rede. Dafür weist die Balladenstruktur dieses schnöde vernachlässigten Werks weit hinauf ins 20. Jahrhundert: Man denke an die hilfreichen Spielleiter in den Stücken Thornton Wilders oder an das Epische Theater Bertolt Brechts.
Puff: Der Wunderlichkeiten gibt es viele in dem bezaubernd wirren Text. Perikles hinterlässt seine Tochter Marina bei einem Statthalterehepaar in Tharsus in Pflege. Die Leihmutti entpuppt sich leider als böse: Sie will das Adoptivkind meuchlings ermorden lassen, kann aber nicht verhindern, dass Seeräuber die holde Marina schnappen und an ein Bordell in Mytilene (Lesbos) verhökern. Ihre Jungfräulichkeit soll in dem maroden Betrieb für Furore sorgen. Nur leider (oder Gott sei Dank?) ist die Gute so tugendhaft, dass selbst hartnäckige Freier vor ihrer Sprödigkeit Reißaus nehmen. Ein guter Statthalter kauft Marina schließlich frei. Wie es der Zufall so will, landet irgendwann ihr Vater Perikles an (siehe auch: Schiffbrüche), der ihretwegen, die er tot glaubt, in Sack und Asche geht. Das Wiedersehen ist natürlich ein allseits frohes.
Schiffbrüche: Was wären Shakespeare-Stücke ohne ihre zahlreichen Schiffbrüche? Es scheint ein Fluch über der christlichen Seefahrt zu liegen. Perikles landet auf seiner Irrfahrt in Pentapolis, wo er unter Zuhilfenahme eines rostigen Brustharnischs die dortige Prinzessin als galanter Ritter zur Frau gewinnt. Schon erregt Poseidon wieder die Wellenfluten, und Perikles' hochschwangere Gemahlin kommt mit der Tochter Marina im Schiffsbauch nieder, stirbt jedoch augenblicklich.
Immer dieser Nahtod
Ihr Sarg wird etwas überstürzt zu Wasser gelassen. Das Begräbnismöbel strandet in Ephesus, wo ein Magier namens Cerimon die schon gestorbene Thaisa zum Leben wiedererweckt. Perikles hat von alledem keinen blassen Schimmer. Die Gesetze der Logik wie der Wahrscheinlichkeit sind gänzlich außer Kraft gesetzt.
Vermählungen: Das Stück Perikles, Fürst von Tyrus besitzt ein starkes ehehygienisches Ethos. Kaum hat Perikles in Pentapolis die Prinzessin Thaisa begehrlich angeblinzelt, schon wird sie ihm vom guten König Simonides förmlich aufgedrängt: "So gut, dass ich euch gleich vermählt will seh'n, / Dann sollt ihr auch alsbald zu Bette geh'n", übersetzt Ludwig Tieck den königlichen Ratschlag ein bisschen halbsteif. In Wahrheit singt Shakespeare das Hohelied der Sittsamkeit. Wissen und Tugend seien für die finale Zusammenführung von Perikles' Familie ausschlaggebend, lässt er Gower sagen. Wer das nicht glaubt, schreibt einen Brief an das Dramaturgiebüro des Burgtheaters.
Zufall: Kein Zufall ist die Wahl des Regisseurs für Perikles: Stefan Bachmann ist ein anerkannt verspielter Vertreter seiner Zunft. Simon Kirsch spielt die Titelrolle. Premiere ist heute, Samstag, im Kasino am Schwarzenbergplatz, 19.00. (Ronald Pohl, DER STANDARD - Printausgabe, 17./18. September 2011)