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Eine Frau passiert mit ihrem Kind ein zerstörtes Haus im Bezirk Howlwadaag in Mogadischu, der Hauptstadt von Somalia.

Foto: REUTERS/Feisal Omar

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Ein Bub schaut auf ein Lager für Hungerflüchtlinge, das in der Stadt Berkulan in der Nähe von Mogadischu liegt, hinunter.

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Alan Lefebvre ist seit sechs Jahren für Ärzte ohne Grenzen im Einsatz, zuletzt im libyschen Misrata.

Foto: MSF

Alan Lefebvre arbeitet in der somalischen Hauptstadt Mogadischu als Notfallkoordinator für Ärzte ohne Grenzen (MSF - Médecins Sans Frontieres). Der 35-jährige Franzose war bereits bei Naturkatastrophen wie dem Erdbeben in Haiti oder in Krisenregionen wie dem libyschen Misrata tätig. Kurz vor Ende seines siebenwöchigen Somalia-Einsatzes gibt er derStandard.at ein Telefoninterview, in dem mitten drin ein lautes Knallen zu hören ist. Lefebvre lässt sich dadurch nicht einmal kurz aus der Ruhe bringen: "Haben Sie das gehört im Hintergrund? Das war ein Schuss - das meine ich damit, dass man sich daran gewöhnt".

derStandard.at: Mogadischu gilt als eine der gefährlichsten Städte der Welt. Wie kann man sich Ihren Alltag vorstellen?

Lefebvre: Die Arbeit gestaltet sich zum Teil extrem schwierig. In vielen Bezirken herrscht Ausnahmezustand, man sieht viele Bewaffnete und die Kriminalitätsrate ist dementsprechend hoch. Daher müssen wir als 'westliche Hilfskräfte' eine genaue Sicherheitsroutine einhalten. Salopp gesagt: Nur nicht zur falschen Zeit am falschen Ort sein.

derStandard.at: Ist unter dieser permanenten Anspannung überhaupt an ein angstbefreites Arbeiten zu denken?

Lefebvre: Ich habe bei anderen Einsätzen bereits ähnliche Situationen kennengelernt. Ich bin mir auch jetzt der permanenten Gefahr bewusst, kann mich aber deswegen nicht die ganze Zeit stressen. Mein Kollege und ich wissen ziemlich genau Bescheid über die Risiken, die wir eingehen. Obwohl Somalia schon ein ganz spezieller Fall ist.

derStandard.at: Was unterscheidet die Situation zu anderen Krisenherden, wie etwa dem libyschen Misrata, wo Sie heuer schon tätig waren?

Lefebvre: Ich will zwar nicht vergleichen, aber so hoch wie hier war die Frustration für mich als MSF-Mitarbeiter bisher noch nie. Als Organisation haben wir sehr große Kapazitäten, nur können wir hier nicht einmal annähernd den Bedarf an Notwendigem decken. Und zum Teil fehlt uns einfach der Zugang. Immerhin herrscht in dem Land seit 20 Jahren Krieg.

derStandard.at: Wie gestaltet sich der 'politische Prozess'? Muss man mit dem Regime kooperieren, um helfen zu können?

Lefebvre: Wir sind eine unabhängige Organisation und kümmern uns ausschließlich um die medizinische Versorgung. Wir haben Kontakt mit allen Parteien und Verwaltungsabteilungen, damit wir größere Befugnisse erhalten und dadurch noch mehr Leute erreichen können. Aber wir sind in unserem Einsatzbereich sehr stark limitiert.

derStandard.at: Welchen Umfang haben die direkten Hilfsmaßnahmen?

Lefebvre: Was wir hier machen, ist ein Tropfen im Ozean. Wir betreuen zurzeit drei Spitäler mit ungefähr 200 Betten. Eines davon haben wir von Grund auf errichtet. Zusätzlich haben wir mobile Teams, die zu den Betroffenen hinausfahren, etwa um Kinder gegen Masern zu impfen. Die Masern sind eines der vorrangigsten Probleme im Moment.

derStandard.at: Aber der Kampf gegen die Unterernährung hat weiterhin oberste Priorität?

Lefebvre: Unser Hauptfokus liegt schon darauf, aber das lässt sich nicht isoliert betrachten. Täglich kommen hunderte unterernährte Menschen in Lagern an, in denen bereits Zehntausende unter den schlimmsten Bedingungen leben. Von den Kindern haben mittlerweile etwa 50 Prozent Masern, wodurch ihr Immunsystem geschwächt wird und sie wieder anfälliger auf Mangelernährung reagieren. Wir haben bereits 30.000 Kinder geimpft und schaffen etwa 1000 pro Tag - aber das sind immer noch viel zu wenige.

derStandard.at: Ein anderes gravierendes Problem soll Cholera sein.

Lefebvre: Auch Cholera muss man im Zusammenhang betrachten. Die Sanitär- und Hygienesituation in den Flüchtlingslagern ist so unzureichend, dass sich die Krankheit sehr schnell ausbreitet. Hier sind wir gefordert, denn innerhalb von Stunden kann ein Cholera-Kranker sterben. Genauso kann ich ihn innerhalb weniger Stunden retten.

derStandard.at: Wie gehen die betroffenen Menschen mit der Situation um?

Lefebvre: Diese Stadt, dieses Land befindet sich schon so lange im Kriegszustand, dass die Leute damit in irgendeiner Form einen Umgang gefunden haben. Aber durch diese schwere Hungerkrise ist die Gemeinschaft besonders stark gefährdet. Es gab ja bereits vergangenes Jahr eine Hungersnot, nur heuer kam auch noch eine Dürre dazu.

derStandard.at: Kann sich kurz- und langfristig die Situation verbessern?

Lefebvre: Der Hauptteil der Lösung liegt im politischen Bereich. Davon hängt auch die langfristige Entwicklung ab: Wie begegnet man den Folgen des Klimawandels und solchen Dürreperioden? Wie lässt sich eine wirtschaftliche Basis aufbauen, damit man mit den Bauern und der lokalen Bevölkerung an nachhaltigen Projekten arbeiten kann?

derStandard.at: Wie gehen Sie persönlich mit dem permanenten Leiden und Sterben um?

Lefebvre: In dem ich mir die Grenzen des Helfens bewusst mache. Etwa wenn Kinder zu spät zu uns gebracht werden: Wenn sie bereits an Mangelernährung, Masern und Cholera leiden, werden sie mit Sicherheit sterben - da können wir trotz der bestmöglichen Nahrungsversorgung nicht mehr helfen.

derStandard.at: Welche Erinnerungen brennen sich ins Gedächtnis ein?

Lefebvre: Wenn eine Mutter vom Land mit drei Kindern in eines unserer Spitäler gelangt und erzählt, dass zwei weitere Kinder am Weg gestorben sind, weil sie noch zwölf Kilometer durch die Stadt gehen musste. Oder wenn eine andere Mutter mit einem unterernährten Kind nach ein paar Tagen im Spital zurück ins Camp muss, weil dort ihre anderen Kinder auf sie warten - und wir genau wissen, dass ihr schwer krankes Kind dort nicht die notwendige Ernährung bekommt. (Martin Obermayr, derStandard.at, 16.9.2011)