
Schnell, sauber, effizient: Die Metro von Seoul gehört mit einem Streckennetz von 300 km Länge zu den größten der Welt.
Der 9. September ist in Korea Nationalfeiertag, in Seoul herrscht wie jedes Jahr Ausnahmezustand. Denn während Chuseok, vergleichbar mit dem Erntedankfest in unseren Breiten, fahren die meisten der gut zehn Millionen Einwohner von Seoul zu ihren Familien aufs Land.
Und so wird die koreanische Hauptstadt über die Feiertage zu einem einzigen, endlos langen Stau - trotz des über 8000 Kilometer langen Straßennetzes und der bis zu 20-spurigen Straßen. Die über 2,5 Millionen registrierten Autos und unzähligen Busse und Motorräder überlasten selbst eine der am meisten fortgeschrittenen Infrastruktur der Welt.
Doch schon bald könnten die Stadtbewohner Seouls trotz der Automassen wieder frei durchatmen, denn die koreanische Regierung setzt vieles daran, Vorreiterland für Elektroautos zu werden.
Die Betreiber der Seouler Metro haben im Frühjahr bereits gezeigt, wie man Autofahren und "grün" verbindet: An rund 58 U-Bahn-Stationen werden Aufladestationen für Elektroautos gebaut. Die Anlagen sind direkt an das Stromnetz der Seouler Metro angebunden. Synergieeffekte entstehen so einerseits bei der Nutzung des Stroms, andererseits können Elektroautobesitzer spielend leicht vom Pkw in die Öffis umsteigen. Seouls U-Bahn befördert täglich bis zu drei Millionen Passagiere und gehört mit rund 300 Kilometer Länge zu den größten der Welt.
Auch Taxis, die einen erheblichen Anteil der Verkehrsteilnehmer in Seoul ausmachen, werden zunehmend elektrisch. Die Stadtverwaltung kündigte an, im November einen Probelauf mit zehn elektrisch betriebenen Taxis zu starten. 2012 sollen 50 weitere Vehikel hinzukommen und bis 2014 insgesamt 460 Elektrotaxis auf Seouls Straßen unterwegs sein.
Bürgermeister Oh Se-hoon scheint das Potenzial der E-Autos zu erkennen. Er hat große Ziele: Bis 2020 sollen 120.000 elektrisch betriebene Vehikel in Seoul unterwegs sein. 50 Prozent der gesamten öffentlichen Verkehrsmittel sollen durch die neuen, umweltschonenden Modelle ersetzt werden. Eine rasante Entwicklung, wenn man bedenkt, dass die Elektroautos erst seit 30. März letzten Jahres auf koreanischen Straßen zugelassen sind.
Die Ölkrise und das zunehmende Umweltbewusstsein ließen in den 1990er-Jahren verstärkt Überlegungen reifen, beim Automobilbau Elektromotoren für den Antrieb einzusetzen. Die Vorteile von Elektroautos gegenüber Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor sind vielfältig, die Betriebskosten sind um ein Vielfaches niedriger.
Vergleichsweise preisgünstige Lithium-Ionen-Batterien werden großteils in Korea selbst produziert: Als der koreanische Mischkonzern LG im April die weltgrößte Fabrik zur Herstellung von Batterien für E-Autos eröffnete, zählte Präsident Lee Myung-bak zu den Gratulanten.
Lithium-Ionen-Batterien für ungefähr 100.000 Autos können pro Jahr in der Stadt Ochang hergestellt werden. "Unsere Firma hat bisher schon zehn Verträge mit internationalen Autoherstellern abgeschlossen, darunter General Motors, Ford und Hyundai-Kia", sagte ein Sprecher von LG der koreanischen Nachrichtenagentur Yonhap News.
Um die Elektroautos für Neukunden besonders attraktiv zu machen, subventioniert die Regierung den Kauf von Neuwagen. Ab 2013 kriegt man bis zu 50 Prozent des Preisunterschieds zu einem vergleichbaren herkömmlichen Wagen erstattet. Möglicherweise schwenkt schon bald ein Großteil der koreanischen Autofahrer auf die "grüne" Spur ein. (Fabian Kretschmer aus Seoul/DER STANDARD, Printausgabe, 17./18. September 2011)