
Selbst die Marienstatue im Hintergrund wird vom Disco-Fever angesteckt: "Sister Act".
Fulminante Bühnenbilder, fetzige Musik und ein tolles Ensemble sorgten bei der Premiere im Ronacher für Standing Ovations.
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Wien - Ob Österreich ein Operettenstaat ist, wie manche meinen, sei dahingestellt. Unzweifelhaft aber gilt: Wien ist eine Musicalstadt. Keine andere Kommune unterhält mit Steuermillionen gleich zwei Bühnen für Singspiele US-amerikanischer Prägung.
Wer aber glaubt, in Wien Eigenkreationen der Vereinigten Bühnen sehen zu können, irrt: Im Raimundtheater läuft Ich war noch niemals in New York, im Ronacher seit Donnerstagabend Sister Act. Beide Musicals wurden von Stage Entertainment sozusagen zur Serienreife entwickelt. Und die VBW sind bloß Lizenznehmer: Sie brauchen Subventionen, um Erfolgsproduktionen zu zeigen, die anderswo Gewinne abwerfen.
Stolz verkündeten sie zwar eine "Wiener Fassung" von Sister Act. Doch diese dürfte nur an Details auszumachen sein: Bühnenbild, Lichtdesign, Orchestrierung, Kostüme, Tanzarrangements und so weiter sind gleich wie in Hamburg und wohl nicht viel anders als in London, am Broadway oder demnächst in Mailand.
Was aber auch seinen guten Grund hat: Die Produktion ist perfekt. Vom Plot her hält sich das "himmlische Musical" von Cheri und Bill Steinkellner, 2006 in Pasadena uraufgeführt, stark an den gleichnamigen Film mit Whoopi Goldberg aus 1992: Die etwas rüde Nachtklubsängerin Deloris, Zeugin eines Mordes, wird vom Polizisten Eddie gegen ihren Willen in einem Kloster versteckt. Unter ihrer Leitung läuft der anfangs kläglich krächzende Chor zur ungeahnten Hochform auf. Der Mörder wird natürlich zur Strecke gebracht, zum Schluss singen die Nonnen vor dem Papst. Halleluja.
Musikalisch hingegen gibt es gröbere Unterschiede: Statt Gospel dominiert Disco. Man schreibt schließlich Weihnachten 1977 - und Deloris träumt in Philadelphia davon, eine zweite Donna Summer zu werden. Ihr erster Auftritt zusammen mit zwei Backgroundsängerinnen gibt das Tempo für den zweieinhalbstündigen Abend vor. Und dieses ist, abgesehen von ein paar melancholischen Momenten, atemberaubend hoch. Multi-Oscar-Gewinner Alan Menken hat schließlich mitreißend groovende, stampfende Songs geschrieben. Und das Orchester der VBW unter Koen Schoots sorgt für eine ebensolche Umsetzung.
Kongenial dazu die 70er-JahreKostüme von Lez Brotherston und die imposante Bühnenkonstruktion von Klara Zieglerova: Von oben baumeln die Beine eines gekreuzigten Jesus in die neugotische Klosterszenerie. Und das gewaltige Kirchenschiff mit den hunderten Glasfenstern verwandelt sich in einen regenbogenbunten Disco-Tempel. Selbst die monumentale Marienstatue im Hintergrund ist zum Schluss überzogen mit lauter glitzernden Spiegelstücken.
Man darf nicht nur über die Gags der Ausstatter staunen, die sich andauernd toppen, man hat auch recht viel zu lachen: Die Inszenierung von Carline Brouwer unterhält mit präzisem Slapstick. Für diesen sind vor allem die dümmlichen Gangster zuständig, die sich mit den Nonnen eine köstliche Verfolgungsjagd liefern.
Aber auch die Charaktere sind sehr konturiert herausgearbeitet: Sonja Atlas giert als fröhliche Schwester Mary Patrick nach Leben, Kathy Tanner beweist rappend mit Whoopi-Goldberg-Brille, dass ihre Schwester Mary Lazarus lange noch nicht zum alten Eisen gehört, und Michael Schönborn, Bruder des Kardinals, wittert Morgenluft: Sein steifer Monsignore O'Hara brilliert als marktschreierischer Gottesdienst-Moderator. Dagmar Hellberg ist eine glaubwürdig strenge Mutter Oberin: Sie liefert sich einen netten Schlagabtausch mit Ana Milva Gomes. Die stimmlich exzellente Holländerin ist als Deloris aber eindeutig der Star. Viel Jubel.
Einziger Mini-Minuspunkt: das penetrante Product-Placement. (Thomas Trenkler, DER STANDARD - Printausgabe, 17./18. September 2011)