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Die Präsidentengarde feierte Brasiliens Unabhängigkeitstag am siebenten September.

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Glühend heiße Stahlmasse wird im ThyssenKrupp-Werk in Brammen geschnitten. RHI liefert die hitzebeständige Auskleidung.

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Rio de Janeiro - Es ist eine Rumpelpiste. Die knapp fünf Kilometer, die von der Autobahnabfahrt im Bundesstaat Rio de Janeiro bis zum Werkstor von ThyssenKrupp führen, leidet man mit, wenn der Bus von Asphaltloch zu Asphaltloch hüpft. Damit ist auch klar, warum jedes schwerere Fahrzeug in Brasilien, egal ob Kleinbus oder Groß-Lkw, Reifendruckmesser an den Radnaben montiert hat: Es würde krachen, wenn der Reifendruck nicht mittels Hydraulikpumpe automatisch nachjustiert würde.

"Da war früher Wildnis, sonst nichts. Nada." Der Kerl in blauem Overall, mit weißem Helm und tiefer Stimme steht vor dem Eingang zum Stahlwerk, das von Siemens-VAI mitgebaut wurde. Es ist das modernste, aber auch teuerste, das ThyssenKrupp je bauen ließ. Umgerechnet 5,2 Mrd. Euro haben die Deutschen ausgegeben. Nun werden in Zwölf-Stunden-Schichten Brammen hergestellt, das sind Blöcke aus gegossenem Stahl. Weiterverarbeitet werden sie in den USA und in Europa.

Er heiße João, führe oft Besucher durch das Werk, vorbei an Hochofen, Converter und Stahlgießwannen. Die Hitze sei schwer zu ertragen. "1200 Grad hat es im Ofen, rundherum ist es auch irre heiß", sagt João bei einem Lokalaugenschein des Standard. Trinken sei Pflicht. Caipirinha? "Nein, kein Alkohol bei der Arbeit."

Das Land hat Bedarf an allem

"Vor einem Jahr wurde hier die erste Straße fertig, die mit einer österreichischen oder deutschen Autobahn vergleichbar ist", weist Frank Ahrenshold, Leiter des Stahlwerks, auf Veränderungen hin. "Vor einem halben Jahr ist in der Nähe ein großes Einkaufszentrum aus dem Nichts entstanden. Menschen kommen her, siedeln sich an. Die Entwicklung geht rasant."

Ahrenshold, der täglich drei Stunden Autofahrt auf sich nimmt, um näher an der Copacabana, dem weißen Sandstrand von Rio, zu sein, weist auf die Fußball-WM 2014 in Brasilien hin und auf die Olympischen Sommerspiele 2016 in seiner "Wahlheimat" Rio de Janeiro. Der Stahlverbrauch des 200-Millionen-Einwohner-Landes, dessen Wirtschaft jährlich um sieben Prozent wächst, werde steigen.

"Straßen, Brücken, Bahnen, Werften - das Land hat Bedarf an allem", stimmt auch Franz Struzl in den Chor jener ein, die Brasilien eine noch bessere Zukunft vorhersagen. Er hat als ehemaliger Boss der Böhler-Uddeholm-Tochter Villares Metals sieben Jahre Erfahrung im Land und ist vor wenigen Tagen direttissima von der Pension auf den vakant gewordenen Chef-Sessel der RHI gewechselt. Mit seiner Hilfe will der Hersteller hitzeresistenter Materialien, die zum Auskleiden von Stahlgusswannen und Brennöfen der Zement-, Glas- und Keramikindustrie verwendet werden, seine Position in Brasilien ausbauen.

"Wir wollen unseren Marktanteil hier von 15 Prozent bei Stahl und zwölf Prozent im Industriegeschäft auf mindestens 30 Prozent verbessern", kündigte Struzl beim Spatenstich fürs erste RHI-Werk in Südamerika an. 85 Millionen Euro lässt sich RHI das Engagement kosten. Mit 200 Mitarbeitern sollen ab dem dritten Quartal 2013 rund 60.000 Tonnen feuerfeste Steine für die brasilianische Stahlindustrie hergestellt werden.

Das Werk entsteht im Hinterland von Rio, rund eine Autostunde vom neuen Thyssen-Standort entfernt. Dieser wird zur Zeit noch mit Feuerfestprodukten aus Europa beliefert - rund 15.000 Tonnen pro Jahr. Wegen hoher Importzölle sei dies immer weniger interessant. "Wenn wir in Brasilien stärker werden wollen, müssen wir hier produzieren", sagte Struzl.

In vielem ist er noch nicht firm, muss sich erst einlesen. Wenn's drauf ankommt, schickt er seine Mitarbeiter vor, die zum Teil 20 Jahre und länger im Unternehmen sind und fast jede Zahl blind aufsagen können. Das Finale der Fußball-WM 2014 jedenfalls glaubt er schon zu kennen: "Brasilien gegen Deutschland". Und wer wird gewinnen? "Brasilien natürlich."(Günther Strobl, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 17.9.2011)