Arbeitseinsatz auf dem Hagebuttenhügel: Langzeitarbeitslose Roma wie Györgyi Baranyi (re.) roden hier Gestrüpp, Attila Kakuk (li.), Anhänger der rechtsextremen Jobbik-Partei, überwacht die Arbeit.

Foto: Standard/Stuiber

Gyöngyöspatas rechtsextremer Bürgermeister Oszkar Juhasz.

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Seither herrscht Ruhe - und die Roma arbeiten für die Gemeinschaft. "Freiwillig" natürlich.

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Man muss einen steilen Hügel besteigen, wenn man die Roma von Gyöngyöspata finden will: Verdorrtes hohes Gras weht im steifen Westwind, grobe Steine pflastern einen Weg, der eher eine ausgewaschene Rinne ist. Dazwischen Hagebuttensträucher. Genau um die geht es, die müssen weg. Das sagt der Bürgermeister.

Die Roma stehen verstreut, in kleinen Grüppchen, Männer und Frauen. Sie hauen auf das Dornengestrüpp mit Macheten ein, bearbeiten es mit Gartenscheren aus dem Baumarkt. Man erkennt sie an ihrer grauen Arbeitskleidung mit den signal-orangen Nähten. Ob das hier oben gute Arbeit sei? "Die Arbeit ist okay" , sagt Györgyi Baranyi, ein kräftiger Mittdreißiger mit Bürstenhaarschnitt, "dass sie nur vier Monate dauert, ist weniger okay."

Was danach kommt? "Keine Ahnung" , sagt Janos Farkas, der die Roma im Gemeinderat vertritt. Versprochen hat man ihnen, dass sie eine Ausbildung bekommen - zum Forst-Facharbeiter. Ob sie das auch wollten? Farkas zieht lange an seiner Zigarette, macht die Augen schmal und sagt: "Das interessiert hier keinen, wir sind ja nur Zigeuner."

"Freiwilliges Programm"

Bis Mitte November muss der Hügel vom Gestrüpp befreit und gerodet sein. Das ist Teil des "freiwilligen Arbeitsprogramms für Langzeitarbeitslose" , an dem die Roma von Gyöngyöspata teilnehmen - ein Pilotprojekt, für das die rechtskonservative Fidesz-Regierung in Budapest die 2800-Seelen-Gemeinde auserkoren hat - unter tätiger Mithilfe von Bürgermeister Oszkar Juhasz, einem Winzer und stolzen Vertreter der rechtsradikalen Partei Jobbik. Schon kommendes Frühjahr will Herr Bürgermeister hier, rund 100 Kilometer nordöstlich von Budapest, deutsche Eichen pflanzen lassen.

Ungarns Roma geraten immer mehr in Bedrängnis. Zu Arbeitslosigkeit und sozialer Verwahrlosung kommen immer mehr gewalttätige Auseinandersetzungen mit der "ortsansässigen" Bevölkerung - oder jenen, die sich berufen fühlen, diese zu vertreten. Die nennen sich "Ungarische Garde" oder "Zivilgarde für eine bessere Zukunft" . Sie teilen die Vorliebe zu Springerstiefeln und schwarzen Outfits, die nicht nur Historiker an faschistische Uniformen erinnern, sie schwenken historische Fahnen und träumen von einem Großungarn vor den Grenzziehungen von Trianon im Jahr 1919.

Drei Monate lang terrorisierten diese Truppen die Roma von Gyöngyöspata. Warum ausgerechnet der kleine Ort im Mátra-Gebirge Schauplatz wachsender Reibereien wurde, ist auf den ersten Blick nicht ersichtlich. Die Roma-Siedlung entlang des kleinen Bächleins am tiefsten Punkt des Ortes wirkt weniger verwahrlost als andere, ähnliche Siedlungen, der Anteil der Roma an der Gesamtbevölkerung ist mit 16 Prozent auch nicht viel höher als in den umliegenden Ortschaften.

Das Problem, sagen sie im Dorf, seien nicht die "Alteingesessenen" , es wurde quasi angeschwemmt: Mehrere Hochwasser spülten im Umland viele Roma-Behausungen weg. Ein reicher Auslandsungar habe daraufhin neue Häuser für die Obdachlosen bauen lassen - ausgerechnet in Gyöngyöspata. Und die "Neuen" , sagen sie im Dorf, machten nur Probleme. Im Ort erzählt man sich von halbwüchsigen Roma-Buben, die mitten im Ort "Wegzoll" von Schulkindern eingehoben hätten.

Das erzählten sie auch den Jobbik-Leuten bei deren "Sprechtagen" in der Region, und die schickten die "Garden" . Sie skandierten Grauenerregendes: "Kommt raus, Zigeuner, heute werdet ihr sterben!" Die Polizei schaute meist nur zu. Viele in Ungarns Exekutive sympathisieren mit der extremen Rechten, 30 Prozent der Beamten sind in der Jobbik-nahen Gewerkschaft organisiert.

Durch Zufall gab es in Gyöngyöspata keine Toten. Dennoch schlug die Sache Wellen, die Regierung sah sich genötigt zu handeln: Uniformierte Aufmärsche wurden verboten. Die Rechtsextremen haben dennoch gewonnen: Der parteifreie Bürgermeister warf das Handtuch, im Juli wurde Jobbik-Mann Juhasz gewählt, und seither herrscht relative Ruhe.

Grundschuldirektor Károly Molnár betont, dass nur eine Minderheit der Roma "sich nicht anpassen kann oder will". Molnár hat 205 Kinder an der Schule, davon 100 Roma-Kinder, und er ist ein engagierter Mann, der weiß, dass es keine einfache Lösung für komplexe Probleme gibt. Aber der Bürgermeister sei "eigentlich ein gemäßigter Mann, der nur für Ordnung sorgen will".

Der 36-jährige Juhasz trägt die gesunde Gesichtsfarbe mitteleuropäischer Weinbauern und ein kariertes Sakko, dessen Nähte verzweifelt unter seiner stattlichen Figur ächzen. Juhasz spricht von "Friede und Sicherheit", und er rühmt sich, dass jetzt härter durchgegriffen werde.

Ein "Zigeuner" , der vier Kilo Trauben gestohlen haben soll, wurde nicht nur zu einer saftigen Geldstrafe, sondern auch zu vier Tagen Arrest verurteilt, drei andere, die im Naturschutzgebiet Pflanzen sammelten, saßen drei Tage hinter Gittern. Einer musste zahlen, weil er in der Öffentlichkeit Bier getrunken habe. Das ist verboten.

"Israelis kaufen Ungarn"

Und plötzlich redet Juhasz von der "Bedrohung" Ungarns durch "Kolonialisten, die uns aufkaufen". Auf Nachfragen druckst er herum, schließlich spricht er "es" aus: "Israelis haben Ungarn praktisch aufgekauft." "Solche Leute" seien seine Feinde, sagt der Bürgermeister treuherzig, nicht Roma, wenn sie sich an die Gesetze hielten.

Die Roma auf dem Hagebuttenhügel sehen das anders. Sie berichten von verächtlichen Bemerkungen des Bürgermeisters: "Entweder ihr rodet diesen Hügel oder ihr verschwindet." Sie erzählen, wie schwer die Arbeit sei, zu der sie jeden Morgen drei Kilometer zu Fuß gehen müssen, bei Regen und Sturm, sonst gibt es Abzüge von der Sozialhilfe. "Zukunftsträchtig" sei die Arbeit, schwärmt Juhasz, "falsche Versprechungen", klagen die Roma.

Dass sie eine Ausbildung bekommen, glaubt kaum einer. Gestern war ein Vertreter des Innenministeriums bei ihnen. Sie fragten ihn nach den Fortbildungskursen im Winter. "Ein paar Workshops wird es geben", sagte der Beamte, mehr sei nicht drinnen. Schließlich müsse Ungarn sparen.

Roma-Gemeinderat Janos Farkas lacht bitter. Er drückt seine Zigarette aus. Genug geredet, jetzt sind wieder die Hagebuttensträucher dran, was sollte er sonst tun? Er drischt auf die dornigen Zweige ein. Wenigstens die geben nach. (Petra Stuiber aus Gyöngyöspata /DER STANDARD, Printausgabe, 17.9.2011)