In Ausweisungsverfahren spielen die persönlichen Verhältnisse der "Fremden" eine wichtige Rolle. Sie werden erwogen, um festzustellen, ob ein Verlassen Österreichs das Menschenrecht der Betreffenden auf Privat- und Familienleben gefährden würde.

Foto: apn/Winfried Rotherme

Anfang der Woche veröffentlichte der STANDARD einen Artikel über ein Asylgerichtshofurteil, in dem ich schilderte, wie einem Mann aus Gambia neben seiner Asylablehnung von den hohen Richtern auch noch nachgeschimpft wurde ("überwiegende Belastung für den Staatssäckel", "auf Schwindel aufgebauter - vorübergehender - Aufenthalt", "geradezu an Asylmissbrauch heranreichendes Vorbringen"). Damit wurde offenbar ein endemisches Problem angesprochen. LeserInnen, die Stammtischtöne aus der Asylgerichtsbarkeit für bedenklich halten (die es also nicht, wie laut Postings viele andere, normal, richtig oder völlig wurscht finden, wenn der betreffende Ausländer nur aus dem Land geschmissen wird), haben mir weitere einschlägige Beispiele zugeschickt. Vielen Dank dafür!

Auch gab es Hinweise, dass andere Behördenvertreter im Klientenkontakt manchmal ebenfalls einen seltsamen Ton an den Tag legen; etwa im Bereich der Sozialbürokratie. Doch AusländerInnen, also "Fremde" - die, wie SOS Mitmensch diese Woche trefflich bemerkt hat, auch nach einem halben Leben in Österreich per Gesetz noch als "fremd" bezeichnet werden -, sind ganz besonders auf Fairness der zuständigen ReferentInnen angewiesen: In Ausweisungsverfahren geht es für sie um nicht weniger als das mögliche Ende ihrer Existenz in Österreich.

In diesen Ausweisungsverfahren spielen die persönlichen Verhältnisse der "Fremden" eine wichtige Rolle. Sie werden erwogen, um festzustellen, ob ein Verlassen Österreichs das Menschenrecht der Betreffenden auf Privat- und Familienleben gefährden würde. Das - so sollte man meinen - ist vor allem dann der Fall, wenn Auszuweisende verheiratet sind oder in einer verbindlichen Beziehung leben und mit Partner oder Partnerin ein Kind aufziehen.

"Wohl eine Gemeinschaft gebildet"

Aber nicht in den Augen einer Abteilung des Asylgerichtshofes (einer anderen als im Gambier-Fall): "Der Beschwerdeführer lebt mit seiner nunmehrigen Frau und dem minderjährigen Kind im gemeinsamen Haushalt. Für den Asylgerichtshof steht fest, dass aufgrund der knapp zweieinhalbjährigen familiären Beziehung sowie dem Bewusstsein, dass der Aufenthalt nur ein vorübergehender - illegaler - sein würde, sich wohl eine Gemeinschaft gebildet hat, eine besondere Beziehungsintensität jedoch nicht erkennbar ist", urteilten die zwei zuständigen Richter am 17.9.2009 im Fall eines türkischen Kurden.

Wer jetzt glaubt, besagte Richter hätten Informationen über eine allfällige Zerrüttung der Beziehung zwischen der ungarischen Ehefrau und ihrem türkisch-kurdischen Mann gehabt, irrt. Das Wegwischen des Familienlebens war vielmehr rein rechtlich bedingt: Gehen "Fremde" ohne Aufenthaltsbewilligung eine verbindliche Beziehung ein, so spricht das gegen diese. Die "Fremden" - und ihre PartnerInnen - hätten es eben besser wissen müssen.

Diese Sichtweise, die eine Beziehung oder ein Familienleben, welche man beginnt, wenn der Aufhaltsstatus unsicher ist, per se als zweitrangig abqualifiziert, beruht auf früheren Entscheidungen des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs in Straßburg - als ob man Beziehungen wirklich planen könnte. Von strengen österreichischen Asylrichtern wird sie freudig angewandt. So exzessiv, dass der österreichische Verfassungsgerichtshof 2011 schließlich differenzierte: War der Aufenthalt des "Fremden" unsicher, weil sich die Behörden in der Causa mit ihren Entscheidungen zu lang Zeit gelassen haben, darf das dem Betreffenden nicht angelastet werden.

Ohne Rücksicht aufs Kind

Das ist ein Fortschritt. Doch ein kleines Kind, das - wie im vorliegenden Fall - seinen Vater vermissen würde, wird diese Dinge sicher nicht verstehen. Sondern nur, dass es mit der Mutter plötzlich allein ist.

Das aber müsse gar nicht sein, gab der Asylgerichtshof in diesem Fall zu bedenken: Die drei könnten ja zusammen in die Türkei gehen. Das Kind würde sich schon anpassen - auch das ein Argument, das in Asylurteilsbegründungen immer wieder auftaucht. Und bei der Gattin kam das, bereits aus dem Gambier-Fall vertraute und auch sonst bei den Richtern beliebte, Kellnerin/Stubenmädchen/Putzfrau-Argument zum Tragen ("Gambia ist als Touristendestination bekannt"): "Wenn die Gattin des Beschwerdeführers diesem in die Türkei folgen will, so kann sich diese sicherlich nach gewissen Anfangsschwierigkeiten in die dortige Gesellschaft eingliedern bzw. auch eine Beschäftigung finden, ist die Türkei doch ein großes Tourismusland und hat sowohl in der Hauptstadt als auch an den touristischen Gebieten großen Bedarf an Deutsch bzw. Ungarisch sprechendem Personal."

Skandal

In der Türkei eher noch als im bettelarmen westafrikanischen Gambia, ist hier zu ergänzen. Doch der Skandal ist, dass Richter als Vertreter einer modernen Justiz überhaupt zu solchen Argumenten greifen. Das Fremden- und Asylrecht mischt sich massiv ins Privatleben von Menschen ein - und hat die Macht, es zu zerstören. Menschen haben ihre persönlichsten Verhältnisse ausländergesetzkonform zu gestalten, oder aber zu akzeptieren, dass ihr Menschenrecht auf Privatleben und Familiengründung weniger geschützt wird als jenes von Inländern.

Dass das als normal und richtig erachtet wird, ist im Grunde abnormal. Nicht nur in Österreich, sondern im gesamten selbstbezogenen und wohlstandsbesorgten Europa.
 (Irene Brickner, derStandard.at, 17.9.2011)