Bild nicht mehr verfügbar.

Der Druck, Menschen länger im Arbeitsprozess zu halten, steigt. Doch das Nebeneinander von Jung und Alt birgt in die Praxis Zündstoff. Die meisten Betriebe verschlafen den demografischen Wandel.

Foto: APA

Wien - Dietmar Blesky hat viele ältere Menschen an der Arbeitswelt scheitern sehen. Der Sportwissenschafter betreute Industriemanager in Rehabilitationszentren, die sich im Job mit Ende 50 überfordert fühlten und sich in körperliche Beschwerden flüchteten. Er erzählt von Tischlern, die nach 40 Jahren im Betrieb vom Leimen bis zu Auftragsvergabe und Personalabrechnung alles allein abwickelten. Und von Krankenschwestern, die mit höherem Alter weder mit der durch Einsparungen wachsenden Zahl ihrer Patienten zurande kamen, noch mit den vermehrt mit Daten zu fütternden Computern.

Die Forderung der Politik nach der Anhebung des faktischen Pensionsantrittsalters, die höhere Besteuerung der golden Handshakes - das alles sei gut und schön, sagt Blesky. Entscheidend sei aber, ob die Arbeitnehmer in der Lage seien, die Anforderungen auf Dauer zu erfüllen. Neue Gesetze könnten ein doppelter Schuss in das Knie werden: Dann, wenn immer mehr Menschen als körperliche Wracks in Pension gingen und sich in Betrieben teure Beschäftigte, die ihre bisherige Leistung nicht mehr erbringen, häuften. Blesky sieht eine gewaltige Kluft aufgehen, der sich derzeit kaum einer annähere.

Der Druck, die Menschen länger im Arbeitsprozess zu halten, nehme laufend zu. Es sei eine radikale Entwicklung, die nicht zu bremsen sei. Doch die Instrumente, um dies verträglich umzusetzen, fehlten. Keine Universität, kein Lehrgang beschäftige sich damit, wie Unternehmen auf den demografischen Wandel reagieren und letztlich davon profitieren können. In den Betrieben selbst, sagt Blesky, werde das Thema in Europa nach wie vor weitgehend verschlafen.

Im Rahmen von wissenschaftlichen Studien und Projekten setzt sich der 39-Jährige seit Jahren mit dem Einfluss demografischer Entwicklung auf die Wirtschaft auseinander. In Wien wird derzeit der sechste auf seinen Ideen basierende Generationenpark mit Fitnessgeräten für Senioren errichtet. Mit Partnern aus Arbeitsmedizin und Personalmanagement unterstützt er Firmen dabei, ältere Arbeitnehmer gezielter einzusetzen und die Alterung der Gesellschaft für sich wirtschaftlich zu nutzen.

Aus dem Bauch heraus

Mit zunehmendem Alter sinken physische Widerstandsfähigkeit, Stressresistenz und Konzentrationsfähigkeit. Sich beschleunigende Arbeitsprozesse überforderten viele brutal, sagt Blesky. Ältere jedoch brächten neben langjähriger Erfahrung soziale Kompetenz ein. Sie seien vielfach fähig, Teams zu führen und oft aus dem Bauch heraus richtig zu entscheiden. Die Aufgaben in den Unternehmen gehörten nach diesen Kriterien gesplittet - bestenfalls der ganze Betrieb entsprechend strukturiert.

Wer in seiner Berufskarriere alle Abteilungen durchlaufen habe, biete sich so etwa auch in gesetzterem Alter für das Controlling an. Fachkräfte, die ihr Leben lang auf Montage waren, gehörten, anstatt sie weiter kräfteraubend rund um die Welt zu schicken, auf einzelne schwierige Projekte und Kunden angesetzt. Autokonzerne wie Mercedes machten ältere Manager bewusst zu Projektleitern. Andere wiederum installierten eigene Demografiebeauftragte, sagt Blesky.

Aus seiner Sicht brauche es in der westlichen Gesellschaft aber insgesamt neue Denkweisen. Das Altern an sich sei negativ besetzt. Krampfhaft hielten etwa Tourismus und Werbung an Zielgruppen zwischen 18 und 49 Jahren fest - "aus der Angst heraus, nicht stylisch oder sportlich genug rüberzukommen. Dabei sind das Konzepte aus Anfang der 80er-Jahre".

Der am schnellsten wachsende Markt sei jener der 60- plus-Generation. In Japan werde bereits ein Drittel der Produkte am sogenannten Silbermarkt verkauft. Asiaten hätten dazu überhaupt einen anderen Zugang: Es gelte als ehrenvoll, die Bedürfnisse der Senioren auszuloten. Das zeigten schon allein die unzähligen für sie adaptierten Autotypen. In Europa beschränke sich das Engagement für Ältere überwiegend auf die Vermarktung von Hüftprothesen und Treppenliften. (Verena Kainrath, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 19.9.2011)