Höflein an der Donau - Mitunter liegt das Glück vor der Haustür. Zugreifen muss man halt. Corinna Kuhnle ist gegenüber vom Paddelklub der Naturfreunde Höflein aufgewachsen, und sie lebt immer noch dort. "Fast alle Kinder der Ortschaft sind zum Paddeln gegangen. Ich war damals sieben", erzählt sie. Höflein, eine Katastralgemeinde Klosterneuburgs, zählt etwas mehr als 1100 Einwohner, und die Kinder paddelten zunächst nicht auf der vergleichsweise reißenden Donau, sondern auf dem Altarm in Greifenstein und also auf Flachwasser.
"Ich hab mich immer schon gern mit anderen gemessen", sagt Kuhnle. Und als die Flachwasserpaddlerin später einmal mit dem Klub einen Ausflug machte zur steirischen Salza, wurde aus der Zwölfjährigen eine Wildwasserpaddlerin.
2002 schmückte sie erstmals das Junioren-Nationalteam, zwei Jahre später gewann sie EM-Silber, ihre erste Medaille. 2006, nach der HAK-Matura, entschied sich die Höfleinerin für den Leistungssport, rückte zum Bundesheer ein. Dank internationaler Erfolge wird sie von der Sporthilfe und vom Team Rot-Weiß-Rot finanziell unterstützt. Und seit Sommer 2010, als sie Weltmeisterin im Slalom wurde, hat sie einen Privatsponsor. Reich werden kann man als Wildwasserpaddlerin eher nicht. Kuhnle studiert in Graz Sportwissenschaften.
Professionelles Paddeln kostet Zeit und Geld. Kuhnle verbrachte im vergangenen Winter fünf Monate in Australien, um im anlässlich von Olympia 2000 angelegten, künstlichen Wildwasserkanal in Sydney zu trainieren. "Da sind dann fast alle Europäer dort. Daheim kann man in der kalten Jahreszeit nur Kraft und Ausdauer trainieren. Aber wenn man Weltspitze sein will, dann darf eigentlich keine Woche vergehen, in der man nicht im Wildwasser seine Tore fährt und an der Technik arbeitet."
Gegenwärtig ordnet sie alles ihrem großen Ziel unter, den Olympischen Sommerspielen 2012 in London, für die sie freilich noch nicht qualifiziert ist. Vor einer Woche verteidigte Kuhnle im Wildwasserkanal in Cunovo in der Slowakei ihren WM-Titel, verschaffte damit Österreich einen Quotenplatz für Olympia und sich selbst eine gute Ausgangsposition. Rivalin um einen Startplatz ist die gebürtige Deutsche Violetta Oblinger-Peters, Olympiadritte 2008 in Peking und in Cunovo Sechste. Die WM sowie im kommenden Jahr die EM und der erste Weltcup sind entscheidend.
Was man zum Wildwasserpaddeln braucht? "Viel Training, aber keine bestimmten körperlichen Voraussetzungen", sagt Kuhnle, die 1,73 Meter groß ist und 65 Kilo wiegt. Die Slowakin Jana Dukatova zum Beispiel, die bei der WM Zweite wurde, ist um zehn Zentimeter größer und richtig dünn. Und die Dritte, die Spanierin Maialen Chourraut, ist extrem klein." Die Boote hingegen sind genormt, haben mindestens 3,50 Meter lang und 60 Zentimeter breit zu sein, müssen mindestens neun Kilo wiegen. Sie bestehen aus Kohlefaser. Und über einem Slalomkurs hängen rund 20 Tore, manche sind mithilfe des Kehrwassers stromaufwärts, manche stromabwärts zu befahren.
Kein Naturcharakter
Österreich hat eine Tradition im wilden Wasser. 1972 bei den Spielen in München, als der Wildwasserslalom erstmals olympisch war, gewann der Kärntner Norbert Sattler die Silbermedaille. Im sogenannten Eiskanal von Augsburg, der weltweit ersten künstlichen Strecke, in dem ursprünglich Treibeis abgeleitet worden war. Der Kanal wird mit vom Lech abgezweigten Wasser gespeist.
Nach einer längeren Pause kam der Sport erst 1992 in Barcelona wieder zu olympischen Ehren. Und mit Ausnahme von Atlanta 1996, als auf einem richtigen Fluss gefahren wurde, wurde und wird auch in London in einer künstlichen Anlage um Medaillen gepaddelt. "Dem Sport ist dadurch sicher der Naturcharakter genommen worden", sagt Kuhnle dazu, "aber dafür ist er viel sicherer. Und wir können die Wettbewerbe in der Nähe von Großstädten austragen, kommen zum Publikum." Bald auch in Wien. Auf Flüssen wie der Salza gibt's zwar Wettbewerbe, doch die Torstangen hängen nur vorübergehend. Schließlich braucht der Fluss auch seine Ruhe, damit ihm nicht der Naturcharakter genommen wird.
Durch Schleusen oder Pumpen kann der Wasserstand reguliert werden. Im Gegensatz zu natürlichen Gewässern, in denen unbekannte Gefahren wie verkeilte Baumstämme lauern können, sind die Inhalte eines Wildwasserkanals mit Kalkül platziert. In London etwa, wo im Oktober ein offizielles Training stattfindet, sind die Hindernisse aus Plastik und also im Kollisionsfall für Mensch und Boot wesentlich angenehmer als Felsen. Mit einem Förderband werden die Athleten, kommod im Boot sitzen bleibend, vom Ziel wieder zum Start gebracht. Da geht natürlich mehr weiter als in der Wildnis. (DER STANDARD Printausgabe, 19.9.2011)