
Baden - Dass Christine Sulzberger eigentlich gelernte Damenkleidermacherin ist, sieht man ihr nicht an. Und das liegt nicht nur an der Höhe. Denn auch wenn die 28-Jährige am Boden steht, erinnert an der durchtrainierten Frau wenig an eine zarte Schneiderin.

Das liegt daran, dass Sulzberger schon "in der Ausbildung wusste, dass ich etwas machen will, was mir Spaß macht" . Und Holz, erkannte die Vöcklabruckerin, kann da mehr als Stoff: Sulzberger wurde Baumpflegerin - und ist seit Samstag auch Staatsmeisterin. Staatsmeisterin im Baumklettern. Zum, mittlerweile, vierten Mal.

Die Art, wie die Oberösterreicherin und ihre aus ganz Österreich nach Baden bei Wien gereisten Mitbewerber da durchs Geäst wuselten, hatte (und hat) aber nur eines mit kindlichem Baumkraxeln gemein: die Bäume. Abgesehen davon, betont Marcel Kreitl, der Organisator des Bewerbes, ist "das etwas von Profis für Profis" .
Angesichts der Höhe (20 Meter über dem Boden), in der geklettert wird, kein Wunder. Die Aufgaben: Es gilt, Stationen in Bäumen "abzuklettern" , verunfallte Kameraden zu bergen oder lediglich per Fußklemmtechnik ein 15 Meter langes Seil hinaufzuklettern.

Derlei entspricht der Arbeitsrealität: Auch wenn im Alltag keine Stoppuhr mitläuft und es egal ist, ob man in zwölf oder 14 Sekunden 20 Meter in der Höhe ist, oder gleich der erste Schuss mit der mannshohen Steinschleuder sitzt. Mit der schießt man ein (an ein Gewichten befestigtes) dünnes Seil in die Baumkrone und zieht dann das Kletterseil nach: Wie sonst kämen Mensch und Material sonst in hohe Wipfel?
Baumklettermeisterschaften sind keine österreichische Erfindung: 1975 richtete der Dick Alvarez in Atascadero (Kalifornien) die ersten Meisterschaften aus. Im amikal-kompetitiven Rahmen sollten "Tree-Trimmer" Technik- und Sicherheitsstandards untereinander professionalisieren. Daraus entstand die International Society of Arboriculture (Isa): Längst gibt es Europameister- sowie Weltmeisterschaften.

Und auch wenn es eigene Männer- und Frauenwertungen gibt (bei den Männers siegte Wilhelm Matzer aus Feldkirchen), zollte das Publikum in Baden den Leistungen geschlechtsneutral Respekt: "Auf die Idee, das so anzugehen, wäre ich nie gekommen" , erklärte da etwa ein junger Kletterer seiner mitgereisten Freundin, als Sulzberger durch die Blätterkrone rauschte. "Es geht eben um Köpfchen, nicht nur um Kraft."
Organisator und Baumkletterinstruktor Kreitl hörte es mit einem Schmunzeln, verwies aber dann doch darauf, dass Baumklettern kein Juxsport für übermütige Gärtner ist: "Im nasskalten Herbstwetter nach einem Sturm auf glitschigen Ästen mit der Kettensäge Sicherungsarbeiten zu machen ist dann nicht immer so lustig wie das hier." (Thomas Rottenberg/DER STANDARD/Printausgabe, 19. 9. 2011)