Mit jedem Tag wird es unwahrscheinlicher, dass Mahmud Abbas noch einen Rückzieher macht: Am vergangenen Freitag schien sich der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) in einer TV-Rede unwiderruflich auf den Gang der Palästinenser in den Uno-Sicherheitsrat festzulegen. Nächsten Freitag soll dort für den Staat Palästina die Vollmitgliedschaft beantragt werden.
Noch geben sich die USA - die dagegen ihr Veto einlegen werden - und die EU mit ihrem Vorsatz nicht geschlagen, die Palästinenser auf einen weniger konfrontativen Weg umzuleiten. Am Sonntag tagte in New York das Nahostquartett aus USA, EU, Uno und Russland. Die Möglichkeiten scheinen jedoch ausgeschöpft zu sein. Diesmal dürfte Abbas, der bisher den Ruf hatte, sich Ankündigungen - wie seine diversen Rücktrittsdrohungen - durch Zugeständnisse wieder abkaufen zu lassen, bis zum Ende gehen.
Der Preis wird hoch sein, für alle Beteiligten. Gegen den Willen der US-Regierung und den Rat von Nahostexperten bereitet der Kongress Schritte vor, den Palästinensern den Geldhahn abzudrehen. Manche US-Abgeordnete reden davon, den "Kollaps" der PA herbeiführen zu wollen - ungeachtet dessen, dass dann wohl Israel, mit allen Kosten, seine Aufgabe als Besatzungsmacht im Westjordanland wieder wahrnehmen müsste, wenn es die PA nicht mehr gibt und sich die internationale Gemeinschaft zurückzieht.
Auch von Israel selbst kam eine ähnliche Drohung, nämlich die während des Oslo-Prozesses in den 1990er-Jahren abgeschlossenen Abkommen, aus denen die palästinensische Teilselbstverwaltung und die PA hervorging, für null und nichtig zu erklären. Denn unilaterale Schritte wie dieser sind da natürlich nicht erlaubt. Allerdings sah der Oslo-Fahrplan eine Endstatus-Lösung für die Palästinensergebiete bis 1998 vor, und die Palästinenser können mit einigem Recht sagen, dass jede neue israelische Wohnung im Westjordanland auch ein unilateraler Akt ist.
Für US-Präsident Barack Obama, der wesentlich an der Genesis zu Abbas' Aktion beteiligt war - er hatte 2009 von Israel den totalen Siedlungsbaustopp verlangt und vor einem Jahr in der Uno selbst von dem baldigen Uno-Mitglied Palästina gesprochen -, sind die politischen Kosten eines Vetos in der arabischen Welt hoch, ohne dass er deswegen in Israel wesentlich beliebter würde. Dass die arabischen Umsturzbewegungen nur an der internen Demokratisierung ihrer Länder Interesse hätten, hat sich als Wunschdenken erwiesen. "Würde" wird auch für die regionale Ordnung eingefordert, für deren Ungerechtigkeit das Schicksal der Palästinenser steht.
Die akute Sorge gilt einem möglichen Ausbruch von Gewalt im Westjordanland. Ironischerweise hat Israel der PA die Anschaffung von Ausrüstung für die Niederschlagung von Protesten bewilligt. Abbas rief in seiner Rede die Palästinenser jedoch ausdrücklich zur Ruhe auf. Darüber, was konkret Gewaltausbrüche hervorrufen könnte, differieren die Seiten: die versuchte Staatsausrufung oder deren Zurückweisung. Abbas hat die Bedeutung des Gangs in die Uno - und die Unterstützung für so einen Schritt aus der EU - systematisch hochgespielt, mit der Gefahr der Enttäuschung. Und die Hamas konnte er nicht überzeugen, sie hält das Ganze für einen Schachzug in Verhandlungen, die ohnehin zu nichts führen.
Dem scheint Recht zu geben, was Verhandler Nabil Shaath als Grund dafür anführte, dass die Palästinenser bei ihrer Position bleiben. Er sagte, dass in einem von den US-Sondergesandten David Hale und Dennis Ross vergangene Woche in Ramallah übergebenen US-Papier die israelischen Siedlungen im Westjordanland nicht einmal kritisiert, sondern als "Ausdruck demografischer Veränderungen" bezeichnet werden.
Damit scheint Obama wieder auf die in einem Brief von US-Präsident George W. Bush an den damaligen Premier Ariel Sharon 2004 festgelegte Politik einzuschwenken: dass die USA nicht von Israel erwarten, sich auf die Waffenstillstandslinie von 1949 (die De-facto-Grenzen bis 1967) zurückzuziehen. Das ist zwar Realität und jedem klar - sollte aber Verhandlungsgegenstand sein. Obama hat das in seiner in Israel mit viel Kritik aufgenommenen Rede im Mai 2011, als er von den 1967er-Grenzen als "Verhandlungsbasis", mit Landtausch in beiderseitigem Einverständnis, sprach, auch noch so gesehen.
Die kleinere Variante ...
Auch die EU arbeitete lange daran, durch ein Papier, in dem die Parameter eines neuen Verhandlungsprozesses festgeschrieben werden sollten, die Palästinenser von ihrem Vorhaben abzubringen (siehe Seite 3 rechts unten). Am Schluss konzentrierte sich Brüssel jedoch auf das, was nach dem Uno-Sicherheitsrat folgt - oder nicht folgt, denn Abbas legte sich dazu am Freitag nicht fest.
Denn nach der Ablehnung im Sicherheitsrat gibt es noch die mögliche "kleinere" Variante in der Generalversammlung, eine Anerkennung als permanenter Beobachter mit Nichtmitglied-Status. Ein geringerer Staat, aber doch ein Staat. Während einige EU-Staaten das als akzeptablen Kompromiss sähen, lehnen die USA und Israel auch dies kategorisch ab, schon im Hinblick auf einen Beitritt Palästinas zum Internationalen Strafgerichtshof und mögliche Schritte gegen Israel (siehe Artikel links unten).
... und der Preis dafür
Die EU versucht nun eine Resolution für die Generalversammlung auszuarbeiten, in der Palästina für seine Beobachter-Anerkennung auf dieses Recht verzichtet und auch zusagt, sofort wieder Verhandlungen mit Israel aufzunehmen, ohne Vorbedingung eines Siedlungsbaustopps.
Israels Premier Benjamin Netanjahu wird am Freitag, dem Tag, an dem die Palästinenser-Frage im Sicherheitsrat behandelt wird, vor der Generalversammlung sprechen, und er wird betonen, dass Israel verhandlungswillig sei und die Palästinenser nicht. Das stimmt formal - aber Israel ist es nicht gelungen, international vergessen zu machen, dass der Siedlungsbau der Grund für die palästinensische Weigerung ist.
Auffällig ist dabei, dass beide, Israel und Palästinenser, sich völlig darüber hinwegsetzen, was ein US-Präsident sagt und will. Etwaige Konsequenzen werden in Kauf beziehungsweise deren Androhung nicht so ernst genommen - ein klarer Ausdruck für den sinkenden US-Einfluss in der Region. Aus Saudi-Arabien, von den USA immer unter die "Gemäßigten" gereiht, kommen scharfe Töne: Nach dem US-Veto im Sicherheitsrat würden die Beziehungen zwischen Washington und Riad nicht mehr so sein wie zuvor.
Die öffentliche Meinung in den USA bleibt Israel treu und bestimmt auch letztlich die Politik, zumal im Jahr vor einer Wahl. Aber bequem ist die Lage für Israel trotzdem nicht, angesichts der wachsenden Isolation des Landes durch den Fall oder das Wanken freundlicher oder zumindest stabiler Regime sowie durch den Zusammenbruch der israelisch-türkischen Beziehungen. (DER STANDARD, Printausgabe, 19.9.2011)