Foto: Designmai
"Designmai Berlin" - das sind gleich zwei Widersprüche in sich. Der Mai etwa ist in Berlin alles andere als eine schöne Jahreszeit. Er beginnt damit, dass Jugendliche im schulpflichtigen Alter aus allen Teilen der Bundesrepublik anreisen, um ihre Palästinenser-Tücher auszuführen und Autos ins Brand zu stecken. Hat man den ersten Mai endlich überstanden, fällt die Temperatur sofort unter den Gefrierpunkt, und das war es dann auch schon mit der Vorfreude auf die zwei, drei Wochen, die hier oben als Sommer bezeichnet werden. Der Mai in Berlin ist also nicht viel mehr als das, was in jedem Mietvertrag zu diesem Monat angemerkt ist: "Heizperiode".

Ähnlich verhält es sich mit dem Design in Berlin. Design und Berlin, diese beiden Dinge harmonieren miteinander wie Jeans und Opernball. Das hängt, wie so vieles, mit der Teilung der Stadt zusammen. Im Osten gab es sehr lange nichts, und deshalb hieß Design dort nichts anderes, als die Dinge wiederzuverwerten. Das hat natürlich seine guten Seiten, denn hätte man damals den ganzen Krempel nicht aufgehoben, die Große-Ringe-Tapeten und die Spanholz-Schrankwände, könnten heutzutage all die Filme nicht ausgestattet werden, die sich mit der DDR befassen. Es gäbe keine "Sonnenallee" und kein "Good bye, Lenin", und es gäbe natürlich auch nicht die berühmten Berliner Clubs, in denen man in zerschlissenen Kunstleder-Sofas versinkt und unter knallorangen Plastiklampen von der Größe einer Raumstation tanzt.

"Ist es wahr, ist es Traum / ist es Kunst im öffentlichen Raum?"

Was aus dem Westen kommt, ist auch nicht viel besser. Der Westen Berlins war über Jahrzehnte von allem abgeriegelt und spielte für den großen Rest des Landes keine Rolle, und daher war West-Design auch nur einem Grundsatz verpflichtet: Es interessiert keinen, was kümmert es uns daher, wie es aussieht. Dieser Gedanke hat zahlreiche Scheußlichkeiten hervorgebracht. Plastiken, die aussehen wie das, was der Installateur zum Sperrmüll bringt, Architektur, die einem in den Augen wehtut wie eine Lustige-Motive-Krawatte. Dazu kam eine unnachahmliche Vorliebe des West-Designers für Kunst im öffentlichen Raum, die von indianischen Mustern oder keltischer Gräbermystik inspiriert ist. Die steht nun in den westlichen Bezirken herum wie Muttertagsbastelarbeiten im Wohnzimmerregal, da kann man nur fassungslos wie der Berliner Liedermacher Funny van Dannen fragen: "Ist es wahr, ist es Traum / ist es Kunst im öffentlichen Raum?" Die Wiedervereinigung hat dann zusammenwachsen lassen, was zusammen gehört, und daher bedeutet Berliner Design heutzutage: Egal, ob es etwas gleich schaut, Hauptsache ist, es wird nichts weggeschmissen. So werden Häuserwände mit Neonröhren verziert, oder wird die ganze Stadt voll gestellt mit übermannsgroßen, bunt bemalten Bären aus Kunststoff.

"New Projects for a Changing City"

Eine Veranstaltung, die sich "Berliner Designmai" nennt und in diversen Galerien, Läden und Cafés "New Projects for a Changing City" vorstellt, sollte also über eine gehörige Portion Selbstironie verfügen. Das tut sie zum Glück auch. Wenn man zur Ausstellung "Design Berlin" im Vitra Design Museum will, muss man erst an alten Stromzählern und "Vorsicht, Hochspannung"-Schildern vorbei. Das Museum war früher ein Umspannwerk, und es gibt wohl keinen passenderen Ort für Berliner Design als eine Halle, in der noch das ganze Zeug von früher steht. Sowohl der Recycling-gedanke des Ostens als auch die Geschmacksfreiheit des Westens werden von den jungen Designern, die hier ihre Entwürfe für Berlin präsentieren, liebevoll zitiert und auf die Schippe genommen. Die Lampen, die etwa "Stiletto" präsentiert, sehen sehr groß und orange aus, auf den zweiten Blick entpuppen sie sich als von innen beleuchtete Punching-Bälle, die auf diese Art fein wiederverwertet werden konnten.

"Rotationsrecycling"

Die Gestalter Vogt und Weizenegger wirken ebenfalls ostinspiriert. Sie haben Geschirr entworfen, das dem Multifunktionsdenken der DDR entspricht - runde oder ovale Formen, die "Units" heißen und sich leicht stapeln lassen. Dazu gibt es leicht abnehmbare Griffe aus Kunststoff, die farbliche Akzente setzen, vor allem orange-rötliche. F.R.E.d. Rubin, der schon Clubs wie das legendäre WMF mit altem DDR-Mobiliar eingerichtet hat oder für Möbelinstallationen bei MTV verantwortlich zeichnet, ist mit seinem Konzept der "Automatenbar" vertreten. Dabei handelt es sich um einen Laden, in dem man sich aus historisch aussehenden Automaten Getränke oder Süßigkeiten holt und auf hellblauen Plastikstühlen Platz nimmt. "Rotationsrecycling" heißt das.

"16.324.800 Maschen"

Zur West-Fraktion lässt sich dagegen Marion Eichmann zählen. In ihrer Arbeit "16.324.800 Maschen" nahm sie eine Wand, einen Tisch, einen Sessel und eine Vase und überzog alles mit selbst gestricktem Stoff in schwarz-weißem Tigermuster. Auf einem Foto sieht man die junge Frau, wie sie im selben Schwarz-Weiß-Strick an dem Tisch sitzt - Design, das schreit und gleichzeitig schreiend komisch ist. Auch bei den Architekturentwürfen ist viel West-Look zu erkennen.

"Nägeliarchitekten"

"Nägeliarchitekten" haben in ihrem Entwurf für ein Wohnhaus eine Fassade entworfen, die von oben bis unten aus Glas besteht, einen schlichten gläsernen Riegel, der sich keck darüber hinwegsetzt, dass die Gebäude links und rechts klassische Bürgerhäuser mit Stuckfassaden sind. Dem unbeirrbaren Berliner Selbstbewusstsein ist auch die Konstruktion von "realities united" gewidmet. "rein raus" ist ein Liegestuhl auf einer Schiene, den man auf Knopfdruck aus dem Wohnungsfenster fahren kann. Selten wurde der Drang des Berliners, sich aus dem Fenster zu lehnen, so praktisch und humorvoll dargestellt.

Und was macht man mit den Designsünden der Vergangenheit? Auch dafür findet sich bei "Design Berlin" eine Lösung. Rafael Horzon schlägt vor, alle Berliner Fassaden mit weißen Platten zu verschalen. Das würde missglückte Architektur und Stilbrüche verdecken und ein einheitliches Stadtbild schaffen. Und wäre auch gar nicht teuer: Zehn Milliarden Euro würde die Verschalung von ganz Berlin mit solchen "Belle Facade"-Platten kosten, hat Horzon ausgerechnet. (Verena Mayer, DER STANDARD, rono/30/05/2003)