Wien - Die Wissenschaft weist seit Jahren darauf hin: Demenzerkrankungen - Morbus Alzheimer hat einen Anteil von 70 Prozent - sind die "Pandemie" einer im Querschnitt immer älter werdenden Bevölkerung. Ohne funktionierende ambulante Versorgungsstrukturen und vor allem wirksame Therapien scheinen die sozialen Auswirkungen dieser Erkrankungen unabsehbar zu sein. Darauf wird auch in diesem Jahr im Vorfeld des Welt-Alzheimer-Tages aufmerksam gemacht.
"In Ein-Personen-Haushalten mit Katze" könne man Demenzkranke nicht versorgen, stellte dazu der Wiener Gerontopsychiater Georg Psota, nun Chefarzt der Psychosozialen Dienste (PSD), zu dem Problem vor einiger Zeit fest. Vergessen ist nur ein Aspekt der Alzheimer-Demenz. Es kommt oft zu zusätzlichen psychischen Problemen. Fortschreitende Hirnleistungsstörungen haben enorme Auswirkungen auf Sozialkontakte, das Zusammenleben von Familien, etc. "Das ist 'die Sache' für Europa und die USA. Das ist für Europa das, was Aids in Afrika ist", so Psota. "Vier von fünf Dementen leben in Österreich derzeit zu Hause. (...) Die Ansicht, dass das die Großfamilie löst, ist eine Illusion."
Über 100.000 Kranke in Österreich
In Österreich wird von derzeit rund 110.000 Erkrankten und rund 200.000 Angehörigen ausgegangen, welche die Hauptlast der Versorgung der Dementen tragen. Im Jahr 2000 gab es in Europa 7,1 Millionen Demenz-Kranke. Rund 4,7 Millionen Patienten litten an Morbus Alzheimer. Im Jahr 2030 werden in Europa rund 11,9 Millionen Personen mit Hirnleistungsstörungen leben, etwa acht Millionen davon mit der Alzheimer-Krankheit. 2050 sollen es schließlich auf dem Kontinent 16,2 Millionen demente Menschen sein, 11,2 Millionen davon Alzheimer-Patienten.
Der Wiener Psychiater Johannes Wancata hat sich intensiv mit der Entwicklung der Erkrankungszahlen bei Demenz und Morbus Alzheimer beschäftigt. Der Experte sagte: "Im Jahr 2000 kamen in Europa 7,1 Millionen Demenz-Kranke auf 493 Millionen Personen im arbeitsfähigen Alter. Das ergab ein Verhältnis von einem Patienten auf 69,4 werktätige Menschen. Im Jahr 2050 wird dieses Verhältnis bei eins zu 21,1 liegen."
Der Wissenschafter hat eine ähnliche Berechnung auch für Österreich vorgelegt. Demnach gab es 1951 in Österreich 35.500 Demenz-Kranke. Im Jahr 2000 waren es 90.500. Im Jahr 2050 werden es 233.800 sein. Die Relation zwischen einem Patienten und den Menschen im erwerbsfähigen Alter wird dann bereits bei eins zu 17 liegen.
Korrelation mit dem Alter
Abgesehen von wenigen Fällen, in denen für Morbus Alzheimer eine starke genetische Belastung vorliegt, die zu einem sehr frühen Ausbruch der Erkrankung führt, zeigt diese Form der Demenz eine strikte Korrelation zu Altersgruppen: Unter den 60-Jährigen leidet ein Prozent der Menschen daran, alle fünf Jahre verdoppelt sich dieser Anteil. Der Anteil der Personen mit Demenz an den über 85-Jährigen beträgt rund 30 Prozent.
Die ursächlichen Mechanismen dürften in der Ablagerung von für die Nervenzellen im Gehirn toxischen und nicht abbaubaren Proteinen liegen: Außerhalb von Nervenzellen finden sich klumpenförmige Moleküle namens Amyloid-Beta, innerhalb der Zellen Bündel von abnormalen Tau-Eiweißen.
In der Therapie gibt es bisher de facto "nur" symptomatisch wirksame Medikamente. Das sind sogenannte Cholinesterase-Hemmer, welche den Abbau des "antreibenden" Nervenbotenstoffs Acetylcholin im Gehirn blockieren. Hinzu kommen Substanzen wie Memantine und Arzneimittel, welche sonstige psychiatrische Begleiterscheinungen der Demenz lindern.
Arbeit an einer Impfung
Bisher kann man mit den bekannten Strategien nur den Verlauf der Symptome der Erkrankung verzögern. Auf der Basis von Studien des Wiener Biotech-Unternehmens Affiris wird mit dem britischen Pharmakonzern GlaxoSmithKline (GSK) auch an einer aktiven "Alzheimer-Impfung" gearbeitet. In den kommenden Jahren könnten auch neue Arzneimittel auf der Basis von monoklonalen Antikörpern auf den Markt kommen, welche die schädlichen Proteinablagerungen im Gehirn verhindern sollen. (APA)