Der große deutsche Soziologe Norbert Elias hat sich unter anderem mit dem Problem beschäftigt, dass gesellschaftliche Prozesse in der Regel das Ungeplante hervorbringen, dass im Kampf um die Verwirklichung der von Gruppen und besonders von den Mächtigen gehegten Hoffnungen nie das herauskommt, was ursprüngliches Ziel war. Auch das Auf und Ab in den österreichisch-ungarischen Beziehungen bestätigt seine Feststellungen. Noch nie seit den Jahren des Rachefeldzuges des Kadar-Regimes nach der blutigen Niederschlagung des Ungarnaufstandes wurde eine ungarische Regierung - oder präziser formuliert ein Budapester Regierungschef - so scharf und so einhellig von der österreichischen Presse kritisiert wie jetzt Viktor Orbán nach seiner Ankündigung, eine Umschuldung der Devisenkreditnehmer auf Kosten der ausländischen, vor allem österreichischen Banken zu erzwingen.

In Ungarn dürften indessen viele Menschen, die durch Kredite vor allem in Schweizer Franken, überwiegend Wohnungen erworben haben, erleichtert sein. Es geht um die Versprechung, dass sie zu einem von der Regierung festgelegten günstigen Wechselkurs (180 Forint für den Franken statt aktuell 238 Forint und für den Euro 250 statt 287 Forint) ihre Kredite zurückzahlen können. Ob das umstrittene Vorhaben so enorme Risiken für die eigene Wirtschaft und letztlich für die Bürger selbst heraufbeschwört, wie dies viele in- und ausländische Experten behaupten, muss freilich noch dahingestellt bleiben.

Allerdings sind die negativen politischen Folgen des in Europa beispiellosen Vorgehens schon jetzt, vor allem in Wien, überdeutlich. Kaum ein westliches Land hat sich nach der Wende so massiv in Ungarn engagiert wie Österreich. Politiker und Unternehmer, Bankiers und Wissenschafter haben alles getan, um dem als Schrittmacher der Öffnung betrachteten Ungarn beim Übergang zu Demokratie und Marktwirtschaft zu helfen.

Bereits Josef Klaus und Bruno Kreisky, Alois Mock und Franz Vranitzky, Wolfgang Schüssel und Heinz Fischer haben stets ohne Rücksicht auf die politische Farbe ihre ungarischen Partner tatkräftig unterstützt. In den Finanzkrisen 1981, 1989 und 2008 handelten die Nationalbankpräsidenten, die Finanzminister und der Bankenapparat aus Wien schnell und unbürokratisch. Ihre proungarischen Initiativen haben auch in Zürich, Berlin, London und New York zum größeren Verständnis für Ungarn beigetragen.

Dass nun die österreichischen Medien Orban als "Puszta-Putin", als "Bankräuber" und als radikalen Nationalisten angreifen und dass gerade die ÖVP-Finanz- und Außenminister eine internationale Aktion zur Vermeidung von Milliardenverlusten fordern, spiegelt die schockierende Wirkung und die tiefe Enttäuschung auch bei jenen düpierten konservativen Angehörigen der österreichischen politischen und finanziellen Elite, die bisher die umstrittenen innenpolitischen Aktionen Viktor Orbáns diskret verdrängten.

Auch für das Verhältnis zwischen Budapest und Wien gilt die Warnung in Lessings Faust-Fragment: "Was ist das Schnellste auf Erden?" - "Der Übergang vom Guten zum Bösen" ... (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20.9.2011)