Wien - Eine gefühlte Ewigkeit lang hielt er die Fermate am Beginn von Nicola Porporas Alto Giove aus, ließ diesen ersten Ton anschwellen und wieder fast unhörbar werden, um dann nahtlos die erste Phrase - noch immer im selben Atemzug - zu gestalten. Seit dem Farinelli-Film ist diese Arie aus der Oper Polifemo in aller Munde, durchleiden sie die Countertenöre landauf, landab.
Aber so wie Philippe Jaroussky singt sie derzeit keiner - nicht nur jene Skala, in welche Porpora die Worte "tua grazia", deine Anmut, kleidete: Ein vollkommenerer Gleichklang von Wort und Musik, von Ausdruck und Podiumspräsenz ließe sich kaum denken als jener, den der jugendliche Franzose bei der ersten Zugabe seines Debüts im Musikverein bot.
Eigentlich war er ja hierhergekommen, um seine neue CD zu promoten und Antonia Caldara (ca. 1670 bis 1736), den italienischen Vizekapellmeister am Wiener Hof, Schöpfer von rund 100 Opern, 40 Oratorien und 150 Messen, ins Gedächtnis zu rufen. Ein absolut lohnenswertes Unterfangen: Unglaublich erfindungsreich, wie sich Caldara durch das Spektrum zwischen den beiden barocken Hauptaffekten Liebe und Zorn durchmanövrierte und bei Wahrung der strengen formalen Konventionen auf immer wieder andere melodische und harmonische Wendungen stieß.
Freilich kommt dies nur dann voll zur Wirkung, wenn sich ein Interpret findet, der diesen Feinheiten auch nachspürt. Jaroussky verfügt nicht nur über einen schier unendlichen Atem sowie die Fähigkeit, Seufzen und Schmachten mit größter Sanftheit und Koloraturen mit größter Brillanz zu gestalten. Er versteht es auch, wie eingangs geschildert, jederzeit das Besondere einzelner Passagen zu betonen: unprätentiös, mit minimaler Körpersprache, aber mit maximaler Wirkung.
Zwischen den Arien brachte das furiose Concerto Köln mit Konzertmeister Markus Hoffmann Orchestrales. Ein wenig mehr von jener Flexibilität, die sich Werner Matzke, der Solist in Vivaldis d-Moll-Cellokonzert (RV 407), erlaubte, hätte das Ensemble dabei auch insgesamt vertragen - Freiheiten, wie sie auch der Sänger bis zur Neige auskostete und damit das recht unruhige Publikum zu voller Aufmerksamkeit zwang. (Daniel Ender, DER STANDARD/Printausgabe 20. September 2011)