Eine adäquate Vertretung von Tripolis, keine Nähe zum alten Regime und Transparenz: Das sind für die Wächter der libyschen Revolution die Kriterien für die Übergangsregierung, um die derzeit gerungen wird.
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Im historischen Stadthaus von Tripolis herrscht reger Betrieb. Bürger wollen von der neuen Stadtführung wissen, wie sie sich engagieren können. Alle, die hier arbeiten, von den Wächtern am Tor bis zu Hishar Kreish, dem stellvertretenden Vorsitzenden des Stadtrates, tun dies mit revolutionärem Eifer, also ohne Bezahlung. Der Geschäftsmann und Vertreter einer bekannten Familie aus Tripolis wurde von der "Koalition des 17. Februar", der "Itilaf", gefragt, ob er sich für dieses Amt zur Verfügung stellen würde.
Die "Itilaf" ist ein Zusammenschluss von acht Basisgruppen. Sie sind so etwas wie das Gewissen der Revolution. In Tripolis gehören dazu auch mehr als 100 Persönlichkeiten, die schon vor der Revolution in einem Papier Gaddafi-Sohn Saif al-Islam zu Reformen aufgefordert haben.
Kein Blut an den Händen
Aus der Unterstützung der "Itilaf" beziehen die Mitglieder des Stadtrates, die alle als Fachleute bestimmte Kompetenzen mitbringen und keine politischen Strömungen vertreten, ihre Legitimität. Bei der Auswahl wurde darauf geschaut, dass sie kein Blut an den Händen und möglichst große Distanz zum alten Regime haben. "Niemand soll die Leiter von der andern Seite hochklettern", erklärt Kreish.
Auf der höheren Ebene des Nationalen Übergangsrates (NTC) ist bereits eine gewisse politische Färbung auszumachen. Der Vorsitzende, Mustafa Abdul Jalil, hat deshalb etwa kurz nach Ausbruch der Revolution Amin Bel Hajj, ein prominentes Mitglied der Muslimbrüder, aus dem Exil zurückgeholt, damit mindestens einer der sechs NTC-Mitglieder von Tripolis die Islamisten vertritt.
"Wir streben eine Verfassung an, die alle Libyer reflektiert, und keine Verfassung der Muslimbrüder" , skizziert Bel Hajj im Gespräch seine Vorstellungen. Dass das neue libysche Grundgesetz, wie etwa auch das ägyptische, das islamische Recht als wichtigste Grundlage haben wird, darüber gibt es einen breiten Konsens.
"Die Islamisten in Libyen sind sehr moderat, die Libyer generell offen für alle Strömungen der Gesellschaft. Demokratie bedeutet nichts anderes, als dass wir alle, ob Islamisten, Kommunisten oder Liberale, akzeptieren, wenn sie sich an die Spielregeln halten" , betont Said Laswad, Professor für Politologie an der Universität von Tripolis. Er ist sehr optimistisch, dass die politische Transformation gelingen wird. "Die Menschen wissen, dass sie dafür etwas tun müssen. Der lange militärische Kampf, die vielen Toten, das war wie eine Katharsis, die zusammengeschweißt hat" , sagt der in den USA ausgebildete Professor und politische Kommentator.
Einen schlechten Start hatte das bisherige Exekutivkomitee, faktisch die neue Regierung. Nicht effizient, zu nah am alten Regime, intransparent und wenig kommunikativ, waren die Hauptvorwürfe. "Wir in Tripolis konnten sechs Monate nur zusehen. Wir waren von allen Entscheiden ausgeschlossen. Jetzt muss dafür gesorgt werden, dass auch Vertreter der Hauptstadt mit entsprechendem Gewicht in den Neuaufbau einbezogen werden" , betont Laswad. Den Test, ob die Kriterien Transparenz, keine Nähe zum Regime und adäquate regionale Vertretung erfüllt sind, wird auch die Übergangsregierung bestehen müssen, an deren Zusammensetzung der Übergangsrat in zähen Verhandlungen arbeitet. (Astrid Frefel aus Tripolis/DER STANDARD, Printausgabe, 20.9.2011)