Wien - Das Reich der Mikroorganismen ist immer für Überraschungen gut. Das zeigt einmal mehr eine in der Wissenschaftszeitschrift PNAS veröffentlichte Untersuchung, an der Wissenschafter der Universität Wien federführend beteiligt waren. Gesucht wurde nach Archaeen, die Ammonium verarbeiten. Zur Überraschung der Forscher spielten solche - früher fälschlicherweise Urbakterien genannte - Mikroorganismen in Kläranlagen keine Rolle. Und dort wo man sie gefunden hat, setzten sie nicht Ammonium um, sondern besitzen einen noch unbekannten Stoffwechsel - ein Befund der weitreichende Auswirkungen auf andere Arbeiten haben könnte.
Hintergrund
Während der Kohlenstoffkreislauf und das Eingreifen des Menschen in diesen heute in aller Munde ist, spielt der globale Kreislauf der Stickstoffverbindungen noch eine untergeordnete Rolle in der öffentlichen Diskussion. Dabei greift der Mensch auch in diesen Kreislauf vor allem über den sogenannten Nitrifikationsprozess, bei dem Mikroben Ammonium über Nitrit zu Nitrat umwandeln, massiv ein: Durch gewaltige Mengen an Abwasser und die Freisetzung von Dünger wird auch der globale Stickstoffkreislauf aus dem Gleichgewicht gebracht.
Vor diesem Hintergrund wollten die Wissenschafter klären, ob die nitrifizierenden Archaeen auch in Kläranlagen eine Rolle spielen. Dazu untersuchten sie 52 Anlagen in Österreich, Deutschland und Großbritannien. Viele Vertreter dieser Mikroorganismen lassen sich nicht im Labor züchten. Deshalb wird ihre Häufigkeit meist über molekularbiologische Verfahren ermittelt. Dabei wird das "amoA-Gen" nachgewiesen, das für die Produktion eines Enzyms mit verantwortlich ist, das im Nitrifikationsprozess eine entscheidende Rolle spielt.
Überraschung
Zu ihrer Überraschung fanden die Forscher nur in vier Klärwerken größere Mengen von Archaeen. Und noch überraschender war, "dass sie dort etwas ganz anderes machen als erwartet", erklärte Michael Wagner, Leiter des Departments für Mikrobielle Ökologie an der Universität Wien. Er hat gemeinsam mit Andreas Richter vom Department für Chemische Ökologie und Ökosystemforschung und internationalen Kollegen die Arbeit durchgeführt.
"Bisher gingen alle Umweltmikrobiologen davon aus, dass Archaeen, die dieses Gen besitzen, Ammonium oxidieren", so Wagner. Die Forscher konnten aber feststellen, dass die in den vier Kläranlagen gefundenen Archaeen nicht Ammonium zur Energieproduktion nutzen, sondern einen anderen noch unbekannten Stoffwechsel besitzen. Der oft eingesetzte Nachweis von "amoA-Genen" ist also kein sicherer Hinweis auf die Anwesenheit von Ammonium-oxidierenden Archaeen.
Auswirkung
"Das hat Bedeutung für Hunderte andere Studien, auch solche von uns selbst, die nitrifizierende Archaeen über ihr amoA-Gen in der Umwelt nachweisen", so Wagner. So wurde etwa behauptet, dass solche Archaeen in Böden viel wichtiger sind als nitrifizierende Bakterien. "Ich sage nicht, dass diese Studien alle falsch sind, aber es heißt: Vorsicht, passt auf, wie ihr die Daten interpretiert", betonte Wagner.
Eine Hypothese über den Stoffwechsel der ungewöhnlichen Archaeen hat der Wissenschafter: Einerseits wurden sie ausschließlich in Kläranlagen der ölverarbeitenden Industrie gefunden. Andererseits weiß man, dass die Enzymfamilie, zu der das Enzym des "amoA-Gens" zählt, auch Mitglieder hat, die "ungewöhnliche organische Verbindungen umsetzen können", so Wagner, der deshalb vermutet, dass die Archaeen solche Verbindungen zur Energieproduktion nutzen. (APA)