In Ostjerusalem herrscht spätestens seit dem Tod von Faisal al-Husseini ein politisches und kulturelles Vakuum. Auch weil es unter der Kontrolle Israels steht, das in der Vergangenheit palästinensische Institutionen, wie die Orienthaus genannte PLO-Vertretung, geschlossen hat. Neben der politischen Anerkennung, die von der PLO jetzt international gesucht wird, geht es den Menschen besonders auch um mehr kulturelle Gestaltungsfreiheit. Doch die mögliche Hauptstadt des zukünftigen palästinensischen Staates hat außer ein paar Restaurants nichts zu bieten. Da wird ein kleiner Erfolg schnell zu einem großen, sodass sogar ein kleiner Buchladen mit viel Innovation und Ehrgeiz jede Menge frischen Wind in die verstaubten Straßen bringt.
Der kleine Gastgarten vor dem Educational Bookshop wirkt wie ein Fremdkörper inmitten der Salah ad-Din Straße im Herzen Ostjerusalems. Palästinensische Jugendliche gehen daran vorbei, schauen auf die meist ausländischen Gäste und müssen dabei allzu oft grinsen. Eine Buchhandlung, die gleichzeitig ein Kaffeehaus ist, Espresso der Marke Segafredo führt, und sich darauf auch noch etwas einbildet? Das erscheint vielen Passanten hier ungewöhnlich.
"Dieses Konzept ist unserer Gesellschaft einfach fremd", meint Imad Muna, der älteste von sechs Brüdern, die die innovative Buchhandlung leiten. „Araber gehen ins Kaffeehaus um Spaß zu haben. Sie rauchen Wasserpfeife, spielen Karten und unterhalten sich", sagt er, während seine Tochter gerade einen Kunden bedient. Das Konzept dahinter widersetzt sich bewusst der althergebrachten Kaffeekultur aus der Zeit der Osmanen, die auch heute noch das Straßenbild prägt. Statt bärtigen Männern mit Nargilah - wie die Wasserpfeife hier genannt wird - sitzen Frauen und Männer hier mit Laptops und Büchern bei einer Tasse italienischem Kaffee. Alles Modern also. Die Tradition wird zumindest ein paar Mal pro Monat gewahrt, wenn sich palästinensische Intellektuelle zum Literatursalon treffen, wo sie über Werke diskutieren und interessante Redner zu Vorträgen einladen.
Imad und seine Familie wollen mit ihren Büchern mehr palästinensische Jugendliche und Studenten erreichen. Bislang mit wenig Erfolg. Aber die englischsprachigen Sachbücher über Israel, die Palästinenser und die arabische Welt seien für die meisten einfach zu teuer. „Aber Teenager lesen heute ohnehin nicht mehr", bedauert Imad. „Sie lesen zwar dieselbe Anzahl an Wörtern, aber von schlechten Quellen im Internet und von SMS-Nachrichten", klagt er. Doch wenigstens zum Essen, Kaffetrinken und Tratschen schaut auch die lokale Jugend immer wieder vorbei. Besonders der große Raum im Keller wird gerne von jungen palästinensischen Paaren genutzt, die sich dort ungestört von den Blicken der Straße treffen können.
Die große Auswahl an Büchern ist durchaus einzigartig, auch wenn dabei grob die politische Richtung vorgegeben ist. „Wer hier zionistische Bücher sucht, wird nicht fündig werden", meint Imads Bruder Mohammed. „Eine Besonderheit ist auch, dass jeder die Bücher durchblättern kann während er Kaffee trinkt", erklärt er stolz.
Die Muna Brüder haben allen Grund stolz zu sein. Der Lonely Planet Verlag hat das Geschäft zur besten Buchhandlung in Israel und den Palästinensergebieten gekürt. Im gesamten Nahen Osten haben sie es auf den dritten Platz geschafft. Die Idee für Kaffe und Buch kam Imad Muna nachdem er einige Male die großen europäischen Buchmessen besucht hatte. Die Auslandserfahrungen der anderen fünf Brüder haben das Projekt außerdem stark beeinflusst. Aber bei den unternehmerischen Zielen machen sie nicht halt, denn sie wollen vor allem ein politisches Zeichen setzen.
„Palästinenser sind nicht weniger fähig ambitionierte Ziele zu erreichen wie andere Nationen dieser Welt. Wir sind der Beweis dafür", erklärt Mohammed. Besonders bei der 25. Jahresfeier des Familienunternehmens, die diesen Juli als kleines Straßenfest stattgefunden hat, wurde der politische Auftrag dahinter sichtbar. „Wir (Palästinenser) haben eine Zukunft in Jerusalem. Und wir werden sie uns holen", erklärte dort der Ehrengast Adnan al-Husseini. „Er ist der Bürgermeister von Jerusalem", rief mir ein palästinensischer Zuhörer zu, was wohl Ausdruck einer unerfüllten Sehnsucht ist.
In einer leidenschaftlichen Rede brachte auch Imad Muna sein Lebenswerk mit Politik in Verbindung. „Unser Erfolg ist besonders wichtig in diesem Ostjerusalem, das immer noch durch die israelische Besatzung leiden muss und unter starkem wirtschaftlichen Druck ums überleben ringt", sagte er und fügte abschließend hinzu: „Als Educational Bookshop sind wir auch Botschafter eines erfolgreichen palästinensischen Unternehmens und damit Teil palästinensischer Identität." (Andreas Hackl, derStandard.at, 20.9.2011)