
Der Tod ist in Doris Dörries Inszenierung weiblich: Tadashi Endo verführt als Knochenfrau mit rosarotem Schwinger den Lebemann Don Giovanni (Wolfgang Koch).
Wer den aktuellen Wiener Staatsopern-Don Giovanni für eine missglückte Inszenierung hält, der sollte sich den neuesten Ausflug der deutschen Filmfrau Doris Dörrie auf die Opernbühne in Hamburg ansehen.
Mag ja sein, dass die Beziehungskisten-Lorbeeren, die Dörrie auf ihrem eigentlichen Feld einfährt, gerechtfertigt sind. Mag auch sein, dass ihre Berliner Così fan tutte-Verlegung ins Hippie-Milieu triftiger war, als die Kritik damals gelten ließ. Aber ihre Manga-Turandot und erst recht ihre Verlegung von Verdis Rigoletto auf den Planeten der Affen in München waren veritable Anschläge der spät zur Oper gekommenen Cineastin auf das Genre.
Was sie jetzt mit dem Don Giovanni angestellt hat, entzieht sich im Grunde schon einer ernsthaften Besprechung. Und zwar durch Flucht in alberne Belanglosigkeit und szenische Hilflosigkeit. Dabei hätte sich durchaus etwas machen lassen aus ihrer (einzigen) Idee, dass der Weg des großen Verführers in seinen letzten Stunden immer wieder von einer gespenstischen "La Morte" - einer poetischen Knochenfrau mit rosarotem Schwinger über dem Skelett - gekreuzt wird. Männlich ist der Tod ja nur im Deutschen. Und dass Giovanni am Ende von dieser Dame umarmt wird und mit ihr samt Knochentafel unter einem wirklich imponierenden Knochen-Kronleuchter (Ausstattung: Bernd Lepel) versinkt, hat seinen Reiz. So wie Tadashi Endo das erste Mal über die Szene geistert und sich am Ende mit Don Giovanni vereint, wäre das eine aparte Klammer gewesen für eine dezidiert weibliche Sicht auf den großen Verführer.
Postpubertärer Aushilfspunk
In Hamburg bleiben es zwei einsame Zeichen szenischer Inspiration. Der große Rest dazwischen stammt aus dem Baukasten gewollter Originalität: Donna Anna und Don Ottavio als gepuderte barocke Dummchen mit Mops auf dem Arm. Donna Elvira mit Melone, in Schwarz und zugeknöpft bis unters Kinn, samt heimlicher Vorliebe für Schläge. Und Masetto und Zerlina zwischen Discofieber und postpubertärem Aushilfs-Punk, die mit ihrem mitgeschleppten Nachwuchs nicht so recht klarkommen. Das Ganze ist nicht nur im übertragenen Sinne, sondern ganz direkt ein Ausflug ins Operneinrichtungshaus.
Da findet sich dann auch für jeden das passende Möbel: ein barockes Prunkbett, eine Freud'sches Sofa und die Ikea-Möblierung. Auf der Videoleinwand lösen drei traumverzückte Frauengesichter zu jedem Auftritt passend die dahin wabernden Wolken ab. Wobei die drei Damen schon einen seltsamen Geschmack haben müssen. Erinnert der Habitus ihres Traum-Giovanni doch eher an einen Phettberg- oder Jonathan-Meese-Look. Wo die Liebe hinfällt, könnte man sagen.
Bei Dörrie landet sie in der Kaufhaus-Kinderecke, samt Gespensterpartie in der Hüpfburg. Knallbunt und ziemlich albern in seiner gewollten Originalität. Jugendgefährdend ist die Inszenierung nicht etwa, weil bei der Register-Arie ein nackter Allerwertester die Leinwand beherrscht und ein ganzkörpertätowierter Leporello grapscht, was das Zeug hält, sondern eher wegen des miserablen Geschmacks, mit dem hier nur scheinbar über die Bühne getobt, in Wahrheit aber das Publikum gelangweilt wird! Doch auch die Hoffnung, dass immerhin Mozart übrigbleibt, wenn man den szenischen Unsinn abzieht, ist diesmal nur ein schwacher Trost.
Wenn der musikalische Chef des Hauses nach der Pause mit lautstark artikulierter hanseatischer Verärgerung empfangen wird, wie es jetzt Simone Young erging, dann spricht das Bände. Young zerfloss der Drive der Musik unter den Händen, sie reihte musikalisch die Nummern im Graben, so wie sie szenisch nebeneinandergestellt wurden.
Erschreckender Befund
Noch schlimmer freilich die Besetzung. Wolfgang Koch, der gerade in Salzburg zu Recht als Barak gefeiert wurde, ist kein Don Giovanni, wobei er einem bei den Buhs nach dem Ständchen fast schon leidtat. Dass Dovlet Nurgeldiyev als Don Ottavio schon für seine ordentliche, aber nicht wirklich berückende zweite große Arie gefeiert wurde, spricht für sich. Wilhelm Schwinghammers Leporello gewann keine rechte Kontur - als Masetto gab Jongmin Park jenes Niveau vor, das man sich bei den Herren durchweg gewünscht hätte. Elza van den Heevers Donna Anna lässt ihr stimmliches Gestaltungspotenzial wenigstens ahnen, Christina Damian wirkte als Elvira eher fehlbesetzt und die Zerlina von Maria Markina fiel in die Rubrik harte Prüfung: So scharf und schrill wie ihr haarsträubendes Bühnenoutfit sang sie leider auch. Dieser Don Giovanni zur Spielzeiteröffnung war Chef(innen)sache und wurde eine Diagnose mit erschreckendem Befund. (Joachim Lange, DER STANDARD - Printausgabe, 21. September 2011)