Bild nicht mehr verfügbar.

Dieser Bewohner von Gaza Stadt stellt schon einmal einen blauen Stuhl mit UN-Aufschrift vor die Tür seines Geschäfts.

Foto: Foto:Adel Hana/AP/dapd

Seit Wochen wird für einen Staat Palästina demonstriert, am Wochenende werden Ausschreitungen befürchtet.

Foto: FREUTERS/Ammar Awad

Bild nicht mehr verfügbar.

Das US-Konsulat in Jerusalem wird von Palästinensern mit einem T-Shirt verdeckt, auf dem der Wunsch nach einem eigenen Staat gedruckt steht.

Foto: Foto:Dusan Vranic/AP/dapd

Martin Beck, Politologe der Adenauer-Stiftung in Amman.

Foto: KAS

Hochspannung herrscht vor der UN-Sitzung in New York, bei der Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas dem Plan nach die Aufnahme des "Palästinenserstaats" in die Vereinten Nationen beantragen will. derStandard.at hat mit dem deutschen Politikwissenschafter Martin Beck, der derzeit in der jordanischen Hauptstadt Amman weilt, über Chancen und Risiken des palästinensischen Vorgehens gesprochen.

derStandard.at: Das Nahostquartett feilt derzeit an einem Kompromissvorschlag, einer könnte sein, Abbas davon zu überzeugen, statt einer UN-Vollmitgliedschaft "nur" den Status eines Beobachterstaats zu beantragen. Dazu reicht die Mehrheit der UN-Mitgliedsstaaten, die USA könnten dies nicht verhindern. Was taugt dieser Vorschlag?

Martin Beck: Dieser so genannte "Vatikanstatus" wäre eine Art "Upgrade" des Status, den die PLO (Palästinensische Befreiungsorganisation, Anm.) seit 1974 innehat. Für die PLO ist dieser Beobachterstatus als Nicht-Mitglied der UNO sicher zu wenig und kaum akzeptabel. Dieser Vorschlag ist also nur ein Versuch des Westens, jetzt aus dieser prekären Situation herauszukommen, ich kann mir aber nicht vorstellen, dass Abbas und vor allem die palästinensische Gesellschaft sich damit zufriedengeben.

derStandard.at: Was ist völkerrechtlich der Unterschied?

Beck: Völkerrechtlich würde durch dieses Upgrade der Zugang der Palästinenser zu UN-Gremien erleichtert werden, möglicherweise auch zum Internationalen Strafgerichtshof, so dass sie die Möglichkeit hätten, gegen Israel völkerrechtlich vorzugehen. Natürlich fällt das aber weit hinter das zurück, was ein Staat bringen würde, weil das Prinzip der UNO eine Staatenwelt ist, in der Nationalstaaten sehr weitreichende Rechte haben, vor allem was den Schutz ihrer Grenzen angeht.

derStandard.at: Stichwort Schutz der Grenzen: Wie sollte Israel künftig verhindern, vom dann souveränen palästinensischen Gazastreifen aus beschossen zu werden, über den Abbas gar keine Macht hat?

Beck: Von einem souveränen palästinensischen Staat sind wir ja derzeit sehr weit entfernt. Das führt angesichts der real existierenden Besatzung dazu, dass es Widerstand gibt, in legitimen und illegitimen Formen. Wir sind seit Jahrzehnten in der Situation, dass die internationale Gesellschaft hilflos zusieht, wie Israel auf der einen Seite und militante Palästinensergruppen auf der anderen Seite eigene Gewalt mit der Gewalt der anderen rechtfertigen. Das ist ethisch zwar inakzeptabel, realpolitisch führt es aber meist dazu, dass sich der Stärkere durchsetzt, und das ist Israel.

derStandard.at: Israel hat sich 2005 aus dem Gazastreifen zurückgezogen, von Besatzung kann dort keine Rede mehr sein.

Beck: Der Gazastreifen ist aber kein souveräner Staat, der Zugang zum Gazastreifen und die Mobilität der Palästinenser dort wird von Israel extrem restriktiv gehandhabt. Man kann einfach nicht sagen, dass der Gazastreifen auf einer Augenhöhe mit Israel steht, es herrscht eine extreme Asymmetrie zwischen Israel und dem Gazastreifen.

derStandard.at: Abbas stellt sich einen Staat Palästina in den Grenzen von 1967, inklusive Ostjerusalem, dem Westjordanland und des Gazastreifens, vor. 450.000 jüdische Siedler leben dort, wie soll das gehen?

Beck: Das ist genau das Problem. Israel hat durch diese Besiedlung eine Situation geschaffen, in der eine Zweistaatenlösung, zu der offiziell alle noch stehen, sehr schwer umzusetzen sein wird. Es ist schwer vorstellbar, dass fast eine halbe Million Siedler zurück ins israelische Kernland geschickt werden können. Das gefährdet die Vision einer Zweistaatenlösung, es sei denn, Israel würde einen grundlegenden Politikwechsel vollziehen, wofür es aber keinerlei Anzeichen gibt.

derStandard.at: Was halten Sie von der Idee, zwei palästinensische Staaten zu schaffen, einen im Westjordanland inklusive Ostjerusalem, einen im Gazastreifen?

Beck: Für die Palästinenser ist es von zentraler Bedeutung, ein zusammenhängendes Territorium zu erreichen. Natürlich ist es ein Problem, keine Regierung zu haben, die alle Teile des Territoriums kontrolliert. Zwei Staaten zu schaffen ist aber keinesfalls etwas, was die Palästinenser anstreben.

derStandard.at: Israel will als „nationale Heimstätte des jüdischen Volkes" anerkannt werden, Abbas weigert sich. Was ist das Problem?

Beck: Das Hauptproblem ist, dass Israel damit das Zugeständnis der Palästinenser verbindet, auf das Rückkehrrecht der Flüchtlinge von 1948 zu verzichten. Das ist für Abbas und für die palästinensische Nation inakzeptabel. Hinzu kommt, dass 20 Prozent der Staatsbürger Israels Palästinenser sind, das ist die alteingesessene Bevölkerung, die schon lange vor der Gründung des Staates Israel dort war. Man kann „Jüdischsein" auch nicht mit nationalstaatlichen Identitäten in Westeuropa vergleichen, weil es ja nicht nur eine nationale Definition ist, sondern auch eine religiöse und die Palästinenser deshalb zu ihr keinen Zugang haben.

derStandard.at: Erwarten Sie einen großen Treck der 1,5 Millionen Menschen arabischen Israelis in einen möglicherweise zu gründenden Staat Palästina?

Beck: Die palästinensischen Staatsbürger Israels fühlen sich zu einem großen Teil diskriminiert, sie haben aber nicht vor, in einen anderen arabischen Staat zu übersiedeln, sondern wollen volle Gleichberechtigung in Israel erhalten. Was sie fordern, ist ein bi-nationaler, säkularer Staat, der sich natürlich schwer mit dem Selbstverständnis Israels als jüdischer Staat in Einklang bringen lässt.

derStandard.at: Wie sieht denn diese Diskriminierung konkret aus?

Beck: Viele Karrieremöglichkeiten in Israel sind als sicherheitsrelevant eingestuft, da ist es für Palästinenser sehr schwer, Fuß zu fassen. Das Selbstverständnis Israels als jüdischer Staat bringt es mit sich, dass sich die Palästinenser nicht als voll gleichberechtigte Bürger des Staates identifizieren.

derStandard.at: Den arabischen Israelis bleibt der ansonsten obligatorische Wehrdienst erspart.

Beck: Das beruht aber auf Gegenseitigkeit: die Palästinenser wollen nicht zur Armee, weil sie nicht auf ihre Brüder und Schwestern schießen wollen, andererseits will der israelische Staat aber auch nicht, dass die Palästinenser in der Armee eine bedeutende Rolle spielen. In Israel hängen aber viele Jobs mit geleisteter Wehrpflicht zusammen, was für die Palästinenser bedeutet, dass sie weniger Entfaltungsmöglichkeiten haben.

derStandard.at: Der US-Kongress plant, den Palästinensern den Geldhahn zuzudrehen. Wie soll Abbas ohne die Millionen aus Washington seine Beamten, seine Polizisten bezahlen?

Beck: Es wird, falls es soweit kommt, in der palästinensischen Gesellschaft zu großer Frustration führen. Die Frage ist, ob Abbas auf diese Situation vorbereitet ist. Wenn die USA ernst machen, wird, falls die Europäer nicht einspringen, die Palästinensische Autonomiebehörde in große finanzielle Schwierigkeiten geraten. Ich gehe davon aus, dass es keinen anerkannten Staat Palästina geben wird. Was man Abbas anlasten kann, ist, dass bisher mit der eigenen Bevölkerung nicht kommuniziert wurde, wie die Strategie der Autonomiebehörde für diesen Fall aussieht.

derStandard.at: Wird US-Präsident Obama riskieren, mit einem US-Veto im Sicherheitsrat all jene Muslime zu verärgern, zu denen er zum Beispiel mit seiner Rede von Kairo die Hand ausgestreckt hat?

Beck: Ich bin mir ziemlich sicher, dass er dieses Veto einlegen wird. Obama steht unter großem innenpolitischen Druck, und es ist auch eine Strategie von Abbas, die USA dazu zu zwingen, sich öffentlich gegen den Staat Palästina auszusprechen, um so eine Empörung in der Staatengemeinschaft, vor allem unter den Entwicklungsländern, hervorzurufen. Abbas könnte damit aber auch beweisen wollen, dass die USA ihren Führungsanspruch im Friedensprozess verloren haben. Ob dieser Effekt der Empörung den Palästinensern konkret etwas bringt, ist allerdings unklar. (flon/derStandard.at, 21.9.2011)