"Es sind so viele Personen gekommen und gegangen." Der ehemalige Finanzminister und SPÖ-Politiker Hannes Androsch will aktuelle Parteipolitik nicht mehr kommentieren. Bildungspolitik und Generationengerechtigkeit sind für den Initiator des Bildungsvolksbegehrens die derzeit wichtigsten Themen. "Wenn wir sechzig Prozent der öffentlichen Ausgaben für Sozialtransfers ausgeben und sagen, wir müssen Armut bekämpfen, dann machen wir etwas falsch. Aber wenn wir nur zehn Prozent für die Bildung ausgeben, dann ist das eine maximale Verteilungsungerechtigkeit zwischen heute und morgen", so Androsch. Mit seinem Volksbegehren will er gegen die "Refuseniks", also die Verweigerer, in der Bildungspolitik kämpfen. Die aktuelle Verteilungsdebatte ist für Androsch ein Thema, "aber nicht das wichtigste. Das ist die Bildung."
Inserate, wie sie Bundeskanzler Werner Faymann als Infrastrukturminister geschalten hat, hat es in der Zeit, als er Minister war, nicht gegeben, so Androsch. "Aber man kann das nicht einfach mit den unappetitlichen Geschehnissen der letzten zehn Jahren in einen Topf werfen, wo Vermögen verschleudert wurde und Leute kassiert haben, wie indische Gottheiten mit sechs Armen."
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derStandard.at: Bisher wurden die Forderungen von Volksbegehren selten auch umgesetzt. Warum sollte das bei Ihrem Volksbegehren anders sein?
Androsch: Weil wir nicht gegen etwas, sondern für etwas sind. Wir sind für die Zukunft des Landes und seine jungen Menschen.
derStandard.at: Im Juni haben Sie gesagt, bisher ein Fünftel der Kosten für das Volksbegehren aus eigener Tasche bezahlt zu haben. Sie haben beklagt, dass Unterstützer wie die Industriellenvereinigung kein Geld für die Kampagne springen lassen.
Androsch: Nicht die Vereinigung, sondern die einzelnen Betriebe. Wenn jedes Mitgliedsunternehmen der Industriellenvereinigung und der Hoteliervereinigung - ganz zu schweigen von den freien Berufen, die ja Begünstigte des Bildungssystems sind - nur 1000 Euro zur Verfügung gestellt hätte, wären wir überfinanziert.
derStandard.at: Hat sich finanziell also nichts geändert seit Juni?
Androsch: Von den Firmen her nicht und das empfinde ich als enttäuschend. Mir kann niemand erzählen, dass mittlere und große Firmen sich nicht aus der Portokassa eine Unterstützung von 1000 Euro leisten können.
derStandard.at: Was ist die Konsequenz - Gibt es weniger Werbemaßnahmen als geplant?
Androsch: Ja, natürlich. Wir sind in unseren Möglichkeiten limitiert.
derStandard.at: Wie wollen Sie ohne eine Plakatkampagne die Leute zum Unterschreiben bringen?
Androsch: Ach wissen Sie, mich überzeugen Plakate nicht, die sind hauptsächlich teuer. Wenn wir genug Geld hätten, würden wird das wahrscheinlich machen. Aber ob das so wirkungsvoll ist, da habe ich meine Zweifel. Wir brauchen engagierte Bürger. Wir brauchen keine empörten Bürger, noch weniger können wir resignierte Bürger brauchen.
derStandard.at: Die Bildungspolitik wurde über den Sommer heftig diskutiert, vor allem die Uni-Politik. Es gibt große Finanznöte und die Rektoren haben das in diversen Wortmeldungen kundgetan. Sind Sie einer Meinung mit den Rektoren, die eine Bildungsmilliarde fordern?
Androsch: Die Rektoren brauchen die auf drei Jahre verteilte Universitätsmilliarde, damit sie überhaupt den Status quo, der unbefriedigend ist, aufrechterhalten können. Wenn man die Geldmittel mit jenen vergleicht, die man für viel weniger Leute, bei denen nicht die Zukunft des Landes liegt, für Umschulungen ausgibt, ist das ja ein gravierendes Missverhältnis. Die politischen Prioritäten stimmen hier ganz einfach nicht.
derStandard.at: Sind Sie unzufrieden mit der Politik der SPÖ und Werner Faymann in diesem Zusammenhang?
Androsch: Ich bin seit Jahren mit der fehlenden Bereitschaft, das Bildungswesen zeitgemäß zu modernisieren, unzufrieden. Es sind so viele Personen gekommen und gegangen. Damit halte ich mich nicht auf. Ich halte nichts davon, wenn die einen mit pawlowschen Reflex gegen die Gesamtschule sind. Ebenso wenig halte ich aber auch davon, wenn andere ebenso mit pawlowschen Reflex den freien Zugang fordern, den es schon jetzt nicht bei Fachhochschulen und auch nicht bei allen Universitäten gibt. Die einen glauben, die Studiengebühren sind ein Wundermittel, das die Universitätsproblematik löst, die anderen sind vom Gegenteil überzeugt.
Wir brauchen einen nationalen Konsens, einen nationalen Schulterschluss. Und dafür brauchen wir ein Paket. Um dieses zu schnüren, darf es keine Tabus geben. Und dabei darf es kein Rosinenpicken und kein Tontaubenschießen geben. Daher haben wir einen Bildungsgipfel verlangt, das muss Chefsache werden. Das kann man nicht zwei Ministern überlassen und schauen, wie die zurechtkommen gegen alle "Refuseniks". Refuseniks, das sind jene wenigen, die aus Borniertheit und scheinideologischer Verbohrtheit die Modernisierung verhindern - und das seit vielen Jahren.
derStandard.at: Sprechen Sie da auch die Lehrergewerkschaft an?
Androsch: Die bornierten Gewerkschaftsbetonköpfe gehören zu den Refuseniks. Aber nicht alle. Das ist viel besser bei den berufsbildenden Schulen und das ist besonders schlecht bei den Allgemeinen Höheren Lehrervertretern. Da hoffe ich, dass man endlich die Lehrerschaft, von denen ja sehr viele hervorragend und engagiert sind, aus diesem politischen Mobbing ihrer Interessensvertretung befreien kann.
derStandard.at: Gewerkschafter sind eher auf ÖVP-Seite. Wen sprechen Sie da auf der anderen Seite an?
Androsch: Mich interessieren in dem Zusammenhang Parteizugehörigkeiten überhaupt nicht. Ich komme noch einmal darauf zurück, dass das Schulwesen insgesamt in die Bundesverantwortung gehört, aber die Umsetzungskompetenz bei den Schulen liegen muss. Das heißt: eine Verschlankung der Schulverwaltung und die Entparteipolitisierung der Schulverwaltung, vor allem auch bei der Besetzung der Schulleitungen.
derStandard.at: Wissenschaftsminister Töchterle hat ein neues Gebührenmodell vorgeschlagen, wo er sagt, dass die Universitäten selbst Studiengebühren einheben sollen. Sie sind - wenn ich Sie richtig interpretiere, Befürworter von Studiengebühren.
Androsch: Das soll eine autonome Entscheidung der Universität sein und nur unter der Voraussetzung von international vergleichbarer Studienförderung. Das ist bis heute nicht der Fall. Als Steuerungselement kann es Sinn machen, als Finanzierungsinstrument sind Studiengebühren vernachlässigbar. Sie sind nicht die Wunderwaffe, mit der die Unterdotierung der Universitäten ausgeglichen werden kann.
derStandard.at: Das heißt, die Finanzierung der Unis soll über Steuern und nicht über Studiengebühren laufen?
Androsch: Dafür zahlen wir Steuern. Wir sind eines der höchst besteuerten Länder in der Welt.
derStandard.at: Die SPÖ ist diejenige, die bei Studiengebühren und beim freien Hochschulzugang blockiert. Warum eigentlich?
Androsch: Ich bin nicht der Interpretator oder Kommentator der SPÖ. Genauso wenig wie der von der ÖVP.
derStandard.at: Aber Sie sind SPÖ-Mitglied.
Androsch: In dieser Frage bin ich für die Zukunft des Landes bildungsbezogen engagiert und das ist eine nationale und keine parteipolitische Frage.
derStandard.at: Töchterle hat für den äußersten Fall, dass man sich in der Koalition nicht darauf einigen kann, eine Volksbefragung zu den Studiengebühren vorgeschlagen. Was halten Sie von dem Vorschlag?
Androsch: Das kommentiere ich nicht. Politik ist eine gestaltende Aufgabe und diese ans Volk zurück zu delegieren, finde ich eigentlich seltsam. Wenn ich als Anstoß für die Amtsträger ein Volksbegehren mache, ist das etwas anderes, als wenn sich die Entscheidungsträger über das Volk sozusagen den Mut zur Entscheidung holen.
derStandard.at: Eine Ihrer Forderung ist auch, das Sitzenbleiben abzuschaffen. Unterstützen Sie den Vorschlag der modularen Oberstufe?
Androsch: Ja, aber das kann man nicht nur als Etikett hinausblasen, dass muss man auch umsetzen. Da braucht es die Ganztagsschule, da braucht es Unterstützungslehrer, psychologische Betreuung und verhaltenstherapeutische Unterstützung. Dazu muss man das ganze System umstellen und kann nicht einfach nur sagen: "Jetzt machen wir eine modulare Oberstufe", wenn gleichzeitig nicht die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass das auch umgesetzt werden kann. So bleibt das ein Etikettenschwindel, das gilt im Übrigen auch für die Neue Mittelschule.
derStandard.at: Ich werde jetzt versuchen, noch einmal auf die SPÖ zurückzukommen, auch wenn Sie sagen, dass sie die Vorgänge in der Partei nicht kommentieren wollen.
Androsch: Sie können so oft fragen, wie Sie wollen, Sie werden immer die gleiche Antwort bekommen.
derStandard.at: Zurzeit kommt Kanzler Werner Faymann in Argumentationsnot, weil der Verdacht im Raum steht, dass er sich als Verkehrsminister Inserate für sich von den ÖBB hat kaufen lassen.
Androsch: Das hat mit der Bildung nichts zu tun. Das sollen sich die politischen Parteien ausmachen. Das ist nicht zu vergleichen mit den Korruptionsaffären, für die offenbar ein Gegengewicht gesucht wird.
derStandard.at: Sie glauben also nicht, dass das Zufall ist, dass die Vorwürfe gerade jetzt laut werden?
Androsch: Das ist wirklich kein Zufall. Wie immer man zu dieser Inseratenpolitik stehen mag.
derStandard.at: Sie waren ja selbst auch Minister, hat es bei Ihnen ...
Androsch: So etwas hat es bei uns sicher nicht gegeben. Man kann auch durch Leistung inserieren. Das kostet nichts. Das würden wohl von den Medien anders gesehen werden, weil diese ja auf diese Einnahmen nicht verzichten wollen. Das muss man auch so sehen. Dieser Streit ist inzwischen ja auch zwischen den Medien entbrannt. Da wäre bei allen Seiten größere Zurückhaltung angebracht. Ohne dass ich mich als Oberschiedsrichter aufspielen will, aber man kann das nicht einfach mit den unappetitlichen Geschehnissen der letzten zehn Jahren in einen Topf werfen, wo Vermögen verschleudert wurde und Leute kassiert haben, wie indische Gottheiten mit sechs Armen.
derStandard.at: Zu diesen Dingen, Stichwort Telekom, soll jetzt auch ein Untersuchungsausschuss eingesetzt werden. Sind sie dafür und wann soll er eingesetzt werden?
Androsch: Das ist Sache des Parlaments.
derStandard.at: Die SPÖ versucht mit dem Thema Verteilungsgerechtigkeit zu punkten. Was sagen Sie zu der Forderung nach Vermögenssteuern?
Androsch: Die größte Verteilungsungerechtigkeit besteht zwischen den Generationen. Und die größte Armut ist die Bildungsarmut. Dann sind wir wieder beim eigentlichen Thema. Wenn wir sechzig Prozent der öffentlichen Ausgaben für Sozialtransfers ausgeben und sagen, wir müssen Armut bekämpfen, dann machen wir etwas falsch. Aber wenn wir nur zehn Prozent für die Bildung ausgeben, dann ist das eine maximale Verteilungsungerechtigkeit zwischen heute und morgen.
derStandard.at: Das heißt, die aktuelle Verteilungsdebatte, die die SPÖ mit der Vermögenssteuer anspricht, ist für Sie kein Thema?
Androsch: Das ist immer ein Thema. Aber nicht das wichtigste. Das ist die Bildung.
derStandard.at: Es gibt immer wieder - und jetzt auch aktuell - Neuwahlgerüchte. Was meinen Sie, soll neu gewählt werden?
Androsch: Das entscheidet die Mehrheit im Parlament.
derStandard.at: Und aus Ihrer politischen Erfahrung gesprochen?
Androsch: Meine politische Erfahrung ist die, dass wir die absolute Mehrheit hatten und die vierjährige Legislaturperiode voll ausgeschöpft haben. (Lisa Aigner und Rosa Winkler-Hermaden, derStandard.at, 22.9.2011)