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Ian Martin (65) leitet die UN-Mission in Libyen.
Ian Martin ist zwar ein höflicher Mensch, aber er nennt die Dinge beim Namen. Vergangene Woche sagte er vor dem UN-Sicherheitsrat, dass es in Libyen praktisch keine Strukturen gebe, auf die eine neue Demokratie aufbauen könne. Obwohl der Alltag in Libyen überraschend schnell zurückgekehrt sei. Martin war seit Mai UN-Sonderberater für Libyen, seit Montag ist er der Chef der United Nations Support Mission in Libya (Unsmil). Unsmil wurde für drei Monate genehmigt, kann aber verlängert werden. Die Mission soll zur Stabilisierung, Sicherung der Ordnung und des Rechtssystems und der Einhaltung der Menschenrechte beitragen.
Martin machen vor allem die vielen Waffen, die im Umlauf sind, Sorgen. Der 65-Jährige setzt sich aber nicht das erste Mal derart heiklen Situationen aus. Er studierte in Cambridge und Harvard Geschichte und Wirtschaft. Danach arbeitete er für Entwicklungshilfeprogramme in Indien, Pakistan und Bangladesch. In seiner Heimat Großbritannien war er Anfang der 1970er-Jahre Beauftragter für "Rassenbeziehungen" und setzte sich für die Rechte von Migranten ein. Er engagierte sich in der Fabian Society, einem Thinktank, der dem rechten Flügel der Labour-Partei nahesteht.
Die Menschenrechtsarbeit führte ihn 1986 an die Spitze von Amnesty International (ai), der Gewerkschaft der Unterdrückten, die er bis 1992 als Generalsekretär führte. Seinem Abgang bei ai waren heftige Querelen über die Ausrichtung der Organisation vorausgegangen.
Martin, der Idealist, wurde also Diplomat. Zunächst ging er nach Haiti, nach dem Genozid wurde er 1995 Chef der UN-Menschenrechts-Feldoperation in Ruanda. Zuständig für Flüchtlingsrückkehr ("Ruanda ist nicht Schweden") kämpfte er für mehr finanzielle Mittel. Nach zwei Jahren in Bosnien trat er 1999 seine wohl schwierigste Mission in Osttimor an. Im Rahmen des Unabhängigkeitsreferendums war es zu einer Eskalation gekommen, die tausende Menschen das Leben kostete. Danach übte der Missionschef Selbstkritik: Man habe die Lage falsch eingeschätzt.
Die letzte richtig heikle Mission, die er übernahm, war die Untersuchung der Angriffe der israelischen Armee im Jahr 2008 auf UN-Institutionen im Gazastreifen. Die Kommission unter seiner Ägide kam zu dem Schluss, dass etwa eine Schule gezielt angegriffen worden war. Auch der neue Job in Libyen wird wohl Martins britisch-höfliche, aber zielgerichtete Klarheit beanspruchen. (Adelheid Wölfl, DER STANDARD, Printausgabe, 22.9.2011)