Lange vor Louis Pasteur ist es den Menschen gelungen, sich die Aktivitäten der Mikroben zunutze zu machen, anstatt sie bekämpfen, und Milch haltbar zu machen.
Bei der eben in Bra (Piemont) zu Ende gegangenen Slow-Food-Messe "Cheese! Die Formen der Milch" wurde offenbar, zu welch Einfallsreichtum und Vielfalt das weltweit geführt hat. Hunderte handwerkliche Käseerzeuger aus aller Welt präsentierten ihre Ware und verwandelten die barocke Kleinstadt für wenige Tage in eine Art gewaltige Käseglocke.

Zeleno sirene, Bulgarien
Seit Jahrhunderten wird der Weichkäse aus handgemolkener Schafsmilch auf den Almen des bulgarischen Balkangebirges erzeugt und bis zum Almabtrieb in Salzlake und in Gefäßen aus Lindenholz gelagert. Im Herbst kommen die geöffneten Gefäße ins Tal und in Keller, wo die Lake verdampfen kann und die feuchte Herbstluft eine prachtvolle Schicht grünen Schimmels rund um den weißen Käse entstehen lässt. Damit ist der Zeleno sirene einer der wenigen Edelschimmelkäse, die ihren Schimmel auf natürliche Weise erhalten und nicht mit Pilzkulturen beimpft werden. Zumindest was die Schärfe im Geschmack betrifft, braucht sich der "grüne Salzlaken-Käse" vor berühmten entfernten Verwandten wie Roquefort und Stilton kaum zu verstecken.

Yak-Käse, China
Manche Gegenden des tibetanischen Hochlandes seien derart flach, so heißt es, dass man die zotteligen Yaks, die darauf weiden, bereits aus mehreren Kilometern Entfernung erkennen könne. Das Fell der Tiere dient den Nomadenvölkern als Wolle für ihre Zelte, ihre getrockneten Fladen als Heizmaterial für den Winter und ihr Fleisch und die Milch als Nahrung fürs ganze Jahr.

Yaks geben wenig, dafür sehr gehaltvolle Milch, die bis zu sieben Prozent Fett enthalten kann (zum Vergleich: Kuhmilch ca. vier Prozent) und deren Geschmack von Bergkräutern und -blumen geprägt ist. Daraus werden verschiedenste Käse in Kesseln gemacht, die mit Yak-Fladen befeuert werden. Gutgereifter Yak-Käse schmeckt deftig intensiv und erinnert an alten, würzigen Schafkäse.

Milbenkäse, Deutschland
Von weniger weit her und überraschenderweise aus Deutschland kommt einer der unheimlichsten Käse der Welt, nämlich der Würchitzer Milbenkäse, der seit Jahrhunderten in Sachsen-Anhalt erzeugt wird. Statt Bakterien oder Pilzen sind es hier speziell gezüchtete Milben, die für die Reifung sorgen. Dazu wird der Käse, eine Art Quargel, drei bis sechs Monate lang mit Kümmel und Salz in eine Kiste gelegt, in der sich die Spinnentiere über ihn hermachen. Danach wird er gegessen. Und zwar mitsamt den Milben, die munter weiterleben. Gesundheitlich bedenklich ist das angeblich nicht - besonders appetitlich allerdings auch nicht.

Joghurt mit Asche, Kenia
Bei der Eröffnung der Messe bedankte sich der Sprecher des kenianischen Hirtenvolks der Pokot bei der Stadtverwaltung von Bra und bei Slow Food für die Einladung nach Italien. Und er bedankte sich bei dem Baum namens Cromwo, aus dem die Pokot die Asche gewinnen, die sie dem Joghurt beimengen, das sie aus der Milch ihrer Rinder und Schafe erzeugen. Die Asche soll nicht nur bei der Verdauung helfen, sondern auch desinfizierende und konservierende Eigenschaften haben. Der Gärung und Aufbewahrung dient den Hirten ein Flaschenkürbis, in dem sie das Joghurt auf ihren langen Wanderschaften zu den Tierweiden begleitet, während welcher es oft ihre einzige Nahrung ist.

Brânzã de burduf, Rumänien
Zumindest der Name des rumänischen Käses ist gar nicht so exotisch, wie es auf den ersten Blick erscheint. Ist er doch ein Vorfahre des slowakischen Bryndza, welcher wiederum schon vor langer Zeit seinen Weg in die Wiener Küche fand, wo er als Brimsen auch originaler Bestandteil des Liptauers ist. Wirklich ungewöhnlich ist hingegen die Tannenrinde, in die er gestopft wird. Diese dient einerseits zum Transport über die Fußpfade der Karpaten und soll dem Käse andererseits eine harzige Note verleihen. Darum wird der Brânzã auch nur von Mai bis Juli erzeugt, wenn die Tannen prall gefüllt sind mit aromatischem Harz.

Casu marzu, Italien
Der sardische Begriff "casu marzu" bedeutet "verfaulter Käse" und bezeichnet einen Pecorino, also einen Schafskäse, dem man die Rinde entfernt, damit in seinem Inneren die Käsefliege Piophila casei ihre Eier ablegen kann. Daraus schlüpfen später kleine weiße Larven, die sich durch den Käse fressen. Der Stoffwechsel der lieben Kleinen verleiht dem Casu marzu cremige Konsistenz und aromatisch strenge Schärfe. Die Larven - die manchmal bis zu 15 Zentimeter hoch springen - könnten, müssten aber nicht mitgegessen werden, so einer der Hersteller, der noch anfügt, dass der Käse maximal vier Monate haltbar sei und danach einen "unappetitlichen" Geschmack und Geruch entwickle - was natürlich schade wäre. (Georg Desrues/Der Standard/rondo/23/09/2011)