Wien - Ein in medienrechtlicher Hinsicht bemerkenswertes Urteil hat nun das Wiener Oberlandesgericht (OLG) im Zusammenhang mit der Berichterstattung von derStandard.at über einen Streit zwischen der Familie des verstorbenen Gründers der "Kronen Zeitung", Hans Dichand, und dem ehemaligen "Krone"-Chefredakteur Friedrich Dragon gefällt. derStandard.at berichtete bereits, die Entscheidung wurde jetzt zugestellt.
Das OLG, das zunächst derStandard.at eine Urteilsveröffentlichung aufgetragen hatte, weil dieser gemeldet hatte, Dragon werfe der Familie Dichand "Verleumdung" vor, musste sich nun selbst korrigieren, nachdem der Oberste Gerichtshof (OGH) festgestellt hatte, dass die an sich bereits rechtskräftige OLG-Entscheidung "mit dem Gesetz nicht im Einklang" war (15 Os 21/11v-8). Damit wird festgehalten wird, dass die "wahrheitsgetreue Wiedergabe einer Äußerung von Dritten" Journalisten "nicht verpflichtet, sich systematisch und förmlich vom Inhalt eines Zitats zu distanzieren".
Vorgeschichte
derStandard.at hatte im Frühjahr 2004 eine APA-Meldung übernommen, in der Dragon in seiner damaligen Funktion als Vertreter der "Krone"-Gesellschafterin WAZ Hans Dichand und seinen Söhnen Christoph und Michael vorhielt, "Verleumdungen" in die Welt gesetzt zu haben, indem sie die WAZ in Verbindung mit angeblichen Einbrüchen ins "Krone"-Haus gebracht hätten. Die Familie Dichand klagte wegen übler Nachrede, Dragon wurde zu einer Geldstrafe von 9.200 Euro verurteilt, derStandard.at sollte als Haftungsbeteiligter das Urteil veröffentlichen und zu ungeteilter Hand die Verfahrenskosten tragen.
Die Wiener Medienanwältin Maria Windhager brachte für derStandard.at eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein. Daraufhin hat die Generalprokuratur eine Wahrungsbeschwerde eingebracht, da es sich beim inkriminierten Zitat um die "wahrheitsgetreue Wiedergabe der Äußerung eines Dritten" handle und ein "überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Kenntnis der zitierten Äußerung" vorliege.
Müssen sich nicht distanzieren
Die Generalprokuratur griff das Vorbringen auf und schloss sich der Rechtsansicht Windhagers an, dass der Grundsatz der Meinungsfreiheit mit einer Urteilsveröffentlichung verletzt wäre. Zum selben Ergebnis kam schließlich im vergangenen Mai auch der OGH, der daher das OLG-Urteil "kippte": Journalisten sind, sofern sie korrekt zitieren, laut OGH "nicht verpflichtet, sich systematisch und förmlich vom Inhalt eines Zitats zu distanzieren, das andere beleidigen oder provozieren oder ihren guten Ruf schädigen könnte, weil eine solche Verpflichtung mit der dargestellten Informationsaufgabe der Presse nicht vereinbar wäre".
Das Höchstgericht verwies in diesem Zusammenhang auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EMRK) zum Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Artikel 10 MRK.
Der OGH trug dem OLG folglich eine neuerliche Verhandlung über das aufgehobene Urteil auf. Die nunmehrige Entscheidung ist am Mittwoch, zugestellt worden. Bei der "Krone" handle es sich um das auflagenstärkste Medium des Landes, führt das OLG nunmehr aus: "Es bestand daher ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Beleuchtung der Hintergründe zu dem zwischen den Genannten schwelenden Streit und an den im Rahmen dieses Konflikts von den Protagonisten getätigten Äußerungen. Wäre es nämlich einem Medium verwehrt, seine Leserschaft über eine Auseinandersetzung zwischen den Eigentümern der auflagenstärksten Tageszeitung Österreichs zu informieren, würde dies eine unerträgliche Einschränkung der Medien- und Meinungsfreiheit bedeuten." (APA/red)