Was immer die unbestrittene Inseratenkeilerei, zu der der einstige Minister Faymann seinen Kabinettschef Ostermayer ausschickte, den Ausführenden zur Tatzeit und unmittelbar danach gebracht haben könnte, bleibt - sieht man von den Benefizien für drei "Krawallblätter" ab - ungewiss. Gewiss aber hat sich die ohnehin stets zweifelhafte Wirkung der damit verbundenen Glorifizierungsabsicht längst ins Gegenteil verkehrt.
Zwar wird die trübe Geschäftsbeziehung zwischen Regierungsstellen und Boulevard zu Lasten Dritter, nämlich der Steuerzahler, in anderen Blättern seit langem kritisiert, weshalb die organisiert wirkende Aufregung der letzten Tage gerade durch ihre Verspätung betont, dass sie vor allem von Skandalen ganz anderer Dimension ablenken soll. Niemand hat schwarze und blaue Moralisten während der letzten fünf Jahre daran gehindert, ihren Ekel vor Faymanns "Krone"-Aktion "Sie fragen - der Minister antwortet" in einen Antrag auf ein Verbot von Regierungsinseraten umzugießen. Aber "sieben Millionen für den Werner", das wird picken bleiben, egal ob so gesagt oder nicht.
Jetzt wird allenthalben wieder einmal über Moral und Ethik in der Politik schwad- roniert, unter dem Vorbehalt einer Unschuldsvermutung, die stets das Gegenteil meint. Bis zum nächsten Untersuchungsausschuss. Vielleicht handelt es sich bei den Politikern - nicht bei den sie umschwärmenden Raffern - aber zunehmend gar nicht so sehr um einen Mangel an Moral, als vielmehr um einen solchen an einer realistischen Einschätzung der Folgen ihres Tuns, also mehr um ein intellektuelles Problem, das zu gefährlicher Selbstüberschätzung verleitet. Etwa wenn Wolfgang Schüssel wähnte, er könnte einen politischen Borderliner domestizieren, indem er mit dessen Spießgesellen eine Regierung bildet. Keiner von beiden verantwortet die Folgen. Die aufzuarbeiten bleibt, unter moralischem Gejammer, auf viele Jahre der Republik.
Intellektuelle Selbstüberschätzung auch die Überzeugung: Es wird schon nix aufkommen, wir sind ja so schlau! Und wenn schon nicht so schlau, dann so fesch, dass uns nix passieren kann. Geschichte und Erfahrung lehren das Gegenteil, früher oder später verblüht jede politische Schönheit, kommt alles auf. Dann kann man sich nur noch auf die Rolle des moralischen Opfers verlegen und auf das Tempo der Justiz hoffen.
Und auch das sollten Politiker inzwischen begriffen haben: Man kann die öffentliche Meinung nicht einmal mittelfristig über inflationäres Inserieren auf dem Boulevard für sich gewinnen, wenn das in Zeiten provokant wirken muss, in denen es überall anderswo an Geld fehlt, und wenn das Inserat nicht mehr als das Ego des Inserenten stärkt, redaktioneller Populismus seine Politik aber tagtäglich konterkariert. Anders gesagt, mit großzügigen Inseraten auf Steuerkosten in den "Krawallblättern", um eine Formulierung der "Krone" zu generalisieren, fördert man eine Berichterstattung, die geholfen hat, einen Jörg Haider groß und einen Karl-Heinz Grasser beliebt zu machen, und die heute einem Strache die Wähler zutreibt. Und das ist weniger ein moralisches Problem, als einfach politische Dummheit. (DER STANDARD, Printausgabe, 23.9.2011)