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Demonstranten vertraten ihre Anliegen in Berlin plakativ, während ein Schein seine Heiligkeit in der Residenz des Bundespräsidenten überstrahlte.

Foto: Reuters/Kopczanski

Auf die kritischen Töne, die ihn in seiner Heimat erwarten, antwortet er mit einer Mahnung an Politiker: Sie sollten dem Recht dienen.

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Es ist eine kleine Geste, aber sie wird natürlich bemerkt. Als der Berliner Wind die Kleidung von Papst Benedikt XVI. bald nach dessen Ankunft am Flughafen arg zerzaust, rückt der deutsche Bundespräsident Christian Wulff sie zurecht. Eine Freundlichkeit, wie überhaupt der offizielle Empfang ein sehr aufmerksamer ist.

21 Salutschüsse nach der Landung, am roten Teppich warten nicht nur Wulff und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, sondern das halbe Kabinett. Wenig später, im Schloss Bellevue, wo Wulff den Papst noch einmal offiziell begrüßt, gibt es viel Applaus. Der Bundespräsident hat tausend Gäste geladen, um die Bedeutung des ersten Staatsbesuches von Benedikt XVI. in seiner deutschen Heimat zu unterstreichen.

Doch Wulff ist auch gleich der erste, der mahnende Worte an den Gast richtet. Die katholische Kirche sei keine "Parallelgesellschaft" , sagt er. Deshalb stelle sich auch immer wieder die Frage: "Wie barmherzig geht sie mit den Brüchen in den Lebensgeschichten von Menschen um?" Wulff meint damit Menschen wie sich selbst: Katholiken, geschiedene Wiederverheiratete, die nicht zur Kommunion zugelassen sind.

Der Papst jedoch hat auch gleich zu Beginn eine Klage anzubringen - dass die Gesellschaft gegenüber der Religion immer gleichgültiger werde. "Es bedarf aber für unser Zusammenleben einer verbindlichen Basis, sonst lebt jeder nur noch seinen Individualismus" , mahnt er.

Doch all dies ist nur der Auftakt. Der erste Höhepunkt des viertägigen Papstbesuches steht am Nachmittag, nach einem Gespräch mit Merkel über die Finanzkrise an: Seine Rede im Bundestag. Noch nie hat ein Papst dort sprechen dürfen, entsprechend groß sind die Sicherheitsvorkehrungen.

Als der Papst erscheint, brandet Applaus auf. Viele Abgeordnete der Linken jedoch klatschen demonstrativ nicht. In ihren Reihen sind auch einige Lücken zu sehen. Der Papst wendet sich in seiner Rede jedoch ohnehin an alle Fraktionen und alle Politiker. Worauf es beim Politiker ankommen müsse, erklärt er so: "Sein letzter Maßstab darf nicht der Erfolg sein. Die Politik muss Grundvoraussetzung für Frieden schaffen. Erfolg kann auch Verführung sein." Gerade die Deutschen wüssten dies aus eigener Erfahrung. Denn, so Benedikt XVI., die Deutschen hätten schon einmal erlebt, dass "Macht gegen Recht stand und das Recht zertreten hat" .

Dem Recht dienen

Weiter meint er: "Dem Recht zu dienen und die Herrschaft des Unrechts abzuwehren, ist und bleibt die grundlegende Aufgabe des Politikers. Der Mensch kann die Welt zerstören und Menschen vom Menschsein ausschließen."

Der Papst hebt auch die Bedeutung des Christentums in diesem Zusammenhang hervor: "Im Gegensatz zu anderen großen Religionen hat das Christentum nie eine Rechtsordnung vorgegeben, sondern auf Vernunft und Natur als Rechtsquellen verwiesen."

Für Applaus bei den Grünen sorgt jene Passage, in der sich Benedikt auf die Natur bezieht. "Das Auftreten der ökologischen Bewegung ist ein Schrei nach frischer Luft gewesen" , sagt er, räumt aber gleich ein, dass er nicht eigens für eine Partei spreche.

Die CDU/CSU-Fraktion hingegen ist bei folgender Passage sichtlich angetan: "Der Mensch macht sich nicht selbst, er ist Geist und Wille und auch Natur. Und sein Wille ist dann Recht, wenn er auf die Natur achtet." Am Schluss schaffen sogar einige Linken Applaus. Am Brandenburger Tor demonstrieren während des Besuches Missbrauchsopfer, am Potsdamer Platz finden sich Tausende zusammen, die gegen die Sexualmoral der Kirche protestieren.

Am Abend stand eine Messe im Olympiastadion auf dem Programm, 70.000 Gläubige hatten sich dazu angesagt. (Birgit Baumann aus Berlin/DER STANDARD, Printausgabe, 23.9.2011)