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Als Geschenk gab es für die erfolgreiche Gipfelstürmerin einen Bergkristall.
"Einmal haben wir für 30 Meter drei Stunden gebraucht. Der Schnee war wie Zucker. Keiner hat irgendetwas gesagt, wir haben uns angeschaut und gewusst, das wäre jetzt unsere Chance. Eigentlich war es Zentimeter-Arbeit und die Zeit ist uns regelrecht davongelaufen", so beschrieb Gerlinde Kaltenbrunner, die als erste Frau alle 14 Achttausender ohne zusätzlichen Flaschensauerstoff bezwungen und damit Geschichte geschrieben hat, anlässlich des Presseempfangs von Sponsor OMV am Donnerstag in Wien die Lage unmittelbar vor dem heiklen K2-Gipfelsturm.
"Man sitzt zu viert in Daunenanzügen auf engstem Raum im kleinen Biwakzelt nebeneinander, die Beine angewinkelt, die Schuhe hat man an und man hofft, dass die Stunden schnell vergehen, damit man endlich losstarten kann. Es war sehr viel Schnee, meist hüfttief. Wir haben uns Meter um Meter hinaufgearbeitet. Jeder hat 50 Schritte gespurt, dann wurde gewechselt", so Kaltenbrunner über die entscheidende Phase weit oben auf dem berühmt-berüchtigten Berg im Karakorum.
Eiseskälte
Auf 8.250 Metern Höhe, wo man außerplanmäßig biwakierte, musste man lange ausharren, bis es die frostigen Temperaturen zuließen, weiter aufzusteigen. Den ersten Versuch, den man mitten in der Nacht um etwa 1:00 Uhr startete, musste man bereits nach etwa 50 Metern abbrechen, weil "wir die Finger und Zehen nicht mehr gespürt haben". Den nächsten Versuch wagte die Gruppe erst um 7:30 in der Früh und damit sehr spät. Mühsam wühlte man sich durch die Schneemassen den Berg hinauf.
"Ganz, ganz großes Geschenk"
Schlussendlich aber erreichte die Expedition in den Abendstunden das anvisierte Ziel. "Die letzten Meter zum Gipfel sind für mich jetzt noch schwer zu beschreiben, das war schlicht ein ergreifender Moment nach so vielen Rückschlägen. Es war beinahe windstill, keine Wolke am Himmel, es hat 360 Grad Fernsicht im Abendlicht gegeben. Es hätte schöner nicht sein können und ich habe es als ganz, ganz großes Geschenk empfunden, da oben stehen zu dürfen. Es war großartig für mich", beschrieb Kaltenbrunner dieses außergewöhnliche Erlebnis.
No-go Südflanke
Nach dem tragischen Unfall im vergangenen Jahr, als ihr schwedischer Begleiter, Frederik Ericsson, im "Flaschenhals", einer gefährlichen Passage unterhalb des Gipfels, tödlich verunglückte, war für Kaltenbrunner klar, dass sie nicht wieder zur Unglücksstelle an der Südflanke des K2 zurückkehren möchte. Aber als ihr Mann sagte, wenn sie zum Nordpfeiler gehen würde, dann wäre er mit dabei, war für die Extrembergsteigerin klar, "da gehen wir hin".
Über die wesentlich anspruchsvollere Nordseite versuchen sich höchstens alle paar Jahre Expeditionen. "Vielleicht alle fünf, sechs Jahre", sagt Kaltenbrunner. "Wir waren völlig allein am Berg. Wir haben fast drei Monate keine andere Menschenseele gesehen außer uns sechs und unseren uigurischen Koch".
Die Besteigung war nur unter der Voraussetzung perfekter Teamarbeit möglich. "Bei einer solch schwierigen Expedition ist es sehr wichtig, dass man sich schon länger kennt. Sowohl über die Stärken als auch die Schwächen der anderen Bescheid weiß. Es braucht große Toleranz und Verständnis untereinander", so Kaltenbrunner.
Kräfte und Reserven
Die Kraft sei ihr während der anstrengenden Tour "zum Glück nie ganz ausgegangen, es war immer eine gewisse Reserve da und es ist auch sehr wichtig, dass man das im Auge behält. Man darf nicht total ans Limit gehen, weil man ja den Abstieg auch noch miteinkalkulieren muss."
Luxus Zahnbürste
Spurlos sind die Strapazen natürlich nicht an Kaltenbrunner, die auch am Berg im Gegensatz zu den meisten Männern nicht auf den "Luxus Zahnbürste" verzichtet, vorbeigegangen. "Ich bin mit drei Kilo mehr weggefahren, als ich normalerweise habe. Insgesamt waren es acht Kilo, dich ich verloren habe. Drei habe ich aber schon wieder zugenommen".
Vorbereitung
Dass sie derart außergewöhnliche Anstrengungen überhaupt bewältigen kann, liege zum einen an ihrer mentalen Stärke, andererseits investiere sie auch sehr viel Zeit in die Vorbereitung. "Ich trainiere wirklich sehr, sehr viel, ich starte körperlich topfit. Ich vertrage die Höhe sicher besonders gut und ich glaube auch, dass es auch daran liegt, dass ich enorm viel trinke. Ich habe das auch diesmal wieder beobachtet, ich höre nicht auf, Schnee zu schmelzen, bevor ich nicht meine fünf Liter Flüssigkeit zu mir genommen habe. Bei anderen sind oft schon drei Liter das Maximum.
Auch der Kopf spiele eine bedeutende Rolle. "Ich glaube, man muss es von innen heraus mit Begeisterung wollen, dann kann man es auch schaffen. Wenn es aufgezwungen ist, funktioniert es nicht."
Pläne
Dass sie nach der erfolgreichen Besteigung aller 14 Achttausender keine innere Leere verspürt, liegt vermutlich daran, dass sie nun einige Vorträge abhält und auch schon über neue Herausforderungen nachgedacht hat. "Erstmals ist etwas Ruhe angesagt, aber wir haben natürlich schon wieder neue Ziele im Kopf. Wir möchten im Frühling auf einen hohen 7.000er, von dem wir schon lange sprechen aber auch ins Karakorum zum Gasherbrum IV. Es gibt noch unzählige Ziele, die wir noch vor haben und hoffen, dass wir dazu in den nächsten Jahren Gelegenheit haben".
Respektlosigkeiten
Verärgert zeigte sich die Gipfelstürmerin über teils fehlende Anerkennung und Unterstellungen von älteren Bergsteigerkollegen, die behaupten, "dass ich Kasachen mitgehabt habe, die mir die Spur getreten und Fixseile angebracht haben. Das trifft mich dann schon, weil es bei Gott nicht der Fall war."
Herr Messner und ein Brief
Reinhold Messner, der als erster Mann alle 14 Achttausender bestiegen hat und Kaltenbrunner den gebührenden Respekt teilweise verweigert, weil es ja nur um die Frage gegangen sein soll, "wer am schnellsten diese 14 Achttausender abhaken kann", hat ihr übrigens einen Brief geschrieben. Den Inhalt verriet Kaltenbrunner, die dieses Wettrennen auf die höchsten Berge der Welt immer vehement bestritt, nicht. "Der ist persönlich." (derStandard.at, 22. September 2011)