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Foto: APA/Schlager
... auch dort, wo sie die Kompetenzen des Staatsoberhauptes festlegt, einen gewissen Gebrauchswert habe, tobt im Lande ein erbitterter Streit um die Sozialverträglichkeit des Bundespräsidenten. Dabei geht es nicht um die Stelle selbst, auf die er sich gegenüber Medien des Auslandes - nicht genannt soll die "Neue Zürcher Zeitung" werden - berufen hat, ist der Artikel 70 (1) doch eindeutig: "Zur Entlassung des Bundeskanzlers oder der gesamten Bundesregierung ist ein Vorschlag nicht erforderlich" und: "Die Entlassung bedarf keiner Gegenzeichnung."

Die Beifügung einer religiösen Beteuerung, wie etwa "Gott sei Dank", "So wahr mir Dichand helfe" oder "Es ist vollbracht" wäre wohl nicht verfassungswidrig, auch wenn sie erst unter 72 (1) zur Angelobung der Regierungsmitglieder vorgesehen ist.

Nein, in der Diskussion geht es erstens darum: Hat Klestil gemeint, was er gesagt, beziehungsweise gesagt, was er gemeint hat? Zweitens: Dürfte Klestil überhaupt von einer Kompetenz Gebrauch, die ihm die Verfassung zuschreibt oder müsste eine derartige Frivolität nicht das Ansehen seines Amtes ruinieren? Drittens: Darf ein österreichischer Bundespräsident mit einem Ausländer über das Arkanum der Verfassung überhaupt reden, und lässt er damit nicht jene Schulterschlussqualität vermissen, die hierorts über jede Handschlagqualität geht?

Schwierige Fragen, über die sich die Besten der Nation den Kopf zerbrechen, die Allerbesten in der letzten Nummer von Kurt Falks "Die ganze Woche". Dort stiegen Dr. Erhard Busek, ÖVP-Vizekanzler a. D., Klestil-"Erfinder", und Dr. Helmut Zilk, Alt-Bürgermeister, Klestil-Wahlkämpfer und Dichand-Ombudsman in die Arena, um in wohlgesetzter Rede das Pro (der Wahlkämpfer) und das Kontra (der Erfinder) unter dem Motto Schadet Klestil unserem Land? abzuwägen. Einleitend wies das Blatt noch darauf hin, dass Thomas Klestil im Frühling des kommenden Jahres mit 21.105 Euro monatlich in Pension geht, dass es sich bei ihm also um einen Frühbegünstigten der Hacklerregelung handelt.

Die Argumentation Buseks, des Klestil-"Erfinders", ist von einem deutlichen Pessimismus durchzogen, hinter dem nachträglich erwachte Reue stecken mag. Die Äußerung war nicht sehr hilfreich, das kann eher Krisen erzeugen als vermeiden. Bundespräsident Thomas Klestil hat damit keineswegs einen Beitrag zur Stabilität geleistet. Die Fakten bezeugen eher das Gegenteil: Wolfgang Schüssel fühlte sich persönlich gar nicht betroffen und seine Bereitschaft, über die Pensionen zu verhandeln, hat danach auffällig zugenommen. Dennoch bleibt Busek dabei: Der Bundespräsident muß vielmehr wissen, daß er allein mit der Möglichkeit dieses Weges eine Regierungskrise herbeiführen kann.

Hält Busek diese Regierung wirklich für so krisenanfällig, dass schon ein Hinweis auf die Verfassung sie davonblasen könnte? Da labt man sich am Optimismus eines Ombudsmans, der sich - noch immer ganz Wahlkämpfer - nicht nur als absolut krisenfest erweist, sondern auch gleich die wahren Schuldigen entlarvt. Der Bundespräsident schadet dem Land sicher nicht. Das tun die Journalisten, die sich auf jedes Körnchen stürzen, wo die Möglichkeit eines Mißverständnisses oder einer Mißdeutung da ist, und das so groß aufblasen.

Von allen Gazetten internationalen Formats, deren Journalisten sich auf jedes Körnchen stürzen und das so groß aufblasen, ist die "Neue Zürcher" bekanntlich die schlimmste. Deren Sensationsgier schreckt nicht einmal davor zurück, Beihilfe zu leisten, wenn der Bundespräsident einmal im Rahmen dessen, was das Gesetz zuläßt, durchaus immer aktiv sein will. Ich war beim Gespräch nicht dabei, bedauert Zilk - da musste es ja schief gehen. Aber wenn man dabei gewesen wäre, würde man sicher wissen, daß er rein auf das Theoretische dieser Möglichkeit hingewiesen hat.

Damit kann sich Busek nicht zufrieden geben. Bei dieser von ihm als theoretisch bezeichneten Möglichkeit, daß er den Bundeskanzler entlassen könne, muß man festhalten, daß es wirklich kritischere Situationen geben kann, bei denen man zu diesem letzten Mittel greift, sagt der Erfinder, der auch nicht dabei war, aber dem nun vor seiner Erfindung graut. Tatsache ist, daß der Bundespräsident seinem Amt mit derartigen Äußerungen - gar zu Medien des Auslandes, und ein solches Medium war dabei - nichts Gutes tut.

Ein Hauch von Kapuzinergruft schwebt über dem Ende der Zwiegesprächs im politischen Ausgedinge. Es gibt ein Bedürfnis nach einer Art "Ersatzkaiser". Ich habe - Verfassung hin, Verfassung her - Thomas Klestil aber immer davon abgeraten, eine aktive politische Rolle spielen zu wollen, gibt Busek ein österreichisches "Erfinder"-Schicksal zum Besten. Und Zilk melancholisch, wie man ihn sonst nicht kennt: Mehr ist nicht drinnen. Der Bundespräsident ist seinem Weg treu geblieben.

Also schadet Klestil jetzt unserem Land oder nicht? (DER STANDARD; Printausgabe, 30.5.2003)