Standard: Eines Ihrer Gunkl-Programme hatte den Untertitel "Ein irrsinnig kompliziertes Programm". Dabei ist schon Fred Sinowatz mit der Bemerkung bekannt geworden, dass die Dinge sehr kompliziert wären. Darf Kabarett komplizierter sein als Politik?
Paal: Ich habe gerne Untertitel, ich will schon, wenn wer kommt, dass der dann auch weiß, was ihn erwartet. Das Programm ist tatsächlich sehr kompliziert gestrickt, weil viele verschiedenen Ebenen grundsätzlich getrennt sind, aber miteinander interagieren.
Mitterlehner: In der Politik ist die Problematik: An sich ist die Welt komplex, doch der Bürger und die Medien erwarten immer die Einfachdarstellung. Das erzeugt ein Gefälligkeitsgehabe: Man versucht alles einfach zu erklären. Und, daraus abgeleitet: Man versucht auch immer Lösungen anzubieten, die 100 Prozent unterstützen können. Da ist die Politik fehlgeleitet.
Standard: Herr Paal wird dafür bezahlt, den Menschen etwas Kompliziertes zu bieten, und Politiker werden bezahlt, dass sie den Leuten eine Vereinfachung bieten?
Paal: Ich werde nicht dafür bezahlt, dass ich etwas möglichst Kompliziertes biete, sondern dafür, dass ich komplexe Sachverhalte darstelle, dass man sie versteht, auch in ihrer Komplexität.
Mitterlehner: Als Politiker muss man sich bemühen, die Dinge so dazustellen, dass sie der Laie begreift und dass der Fachmann nicht lacht.
Paal: Selbst wenn man Zwischentöne weglässt, gibt es nicht nur Schwarz und Weiß. Es gibt auch oben und unten, vorn und hinten, links und rechts. Es gibt früher und später, es gibt 1000 Dichotomien - wer da mit dem Schwert einfach reinschlägt und sagt, wir teilen die Welt in zwei Teile, liegt falsch. Und der, der den Menschen erzählt, dass es so einfach ist, begeht Raubbau an der Demokratie.
Mitterlehner: Ich nehme mir allerdings aus dem Kabarett manches zum Vorbild - nämlich die Treffsicherheit der Sprache, die Präzision der Problembeschreibung und die Differenziertheit.
Standard: Herr Paal stellt auch einen hohen Anspruch an das Publikum. Das kann sich der Politiker nicht leisten ...
Mitterlehner: Ich muss als Politiker mein Auditorium unmittelbar fesseln. Im Endeffekt bin ich dann gut, wenn der Zuhörer so wie beim Kabarett heimgeht und nachdenkt. Wobei ich Politik nicht grundsätzlich als Kabarett sehe.
Paal: Der Kabarettist ist, wenn er den Befund sauber abliefert, eigentlich fertig ...
Mitterlehner: ... und der Politiker soll eine Therapie dazu liefern.
Paal: Das ist schon um eine Kante schwieriger. Das weiß ich schon.
Standard: Die österreichische Politik ist für Sie kein lohnendes Feld?
Paal: Ich will mein Programm zwei Jahre spielen, und ich möchte nicht der österreichischen Innenpolitik hinterherschreiben. Weil es kann sein, dann ist ein halbes Jahr nichts, was wirklich erörternswert wäre, oder was man an den Pranger nageln kann, und was vor einem halben Jahr war, ist mittlerweile wurscht.
Standard: Die Politik ist nicht lustig?
Mitterlehner: In der Situation, in der die österreichische Politik derzeit ist, ist es nicht zum Lachen. Die Politik ist durch die ganzen Korruptionsvorwürfe und die Diskussionen darüber auf ein Niveau herabgeredet worden, das sie sich nicht verdient hat. Wobei sich jeder Einzelne überlegen muss, ob die Umstände stimmen, ob die Moral stimmt. Und nicht nur, ob das Gesetz eingehalten wird. Wobei das auch Teil einer gesellschaftlichen Entwicklung ist: Man schaut schärfer hin, wo man früher die Zustände für normal angesehen hat. Das heißt, dass wir ein anderes Demokratieverständnis haben, mehr Transparenz brauchen. Früher war man im Mittelbereich, auch geografisch, zwischen Ost und West, jetzt werden wir westlicher.
Paal: Wobei: Allzu westlich sollten wir nicht werden.
Mitterlehner: Wie bitte?
Paal: Wenn man sich die USA anschaut, das ist grauenhaft, wie dort die Politik gekauft wird.
Standard: In den USA wird jedes Amt bis hinunter zum lokalen Sherriff gewählt ...
Paal: Allerdings: Wer gewählt wird, bestimmt das Kapital. Das ist so. Es gibt ein brillantes Talkradio, The Young Turks, das analysiert, was passiert: Das Ölgeschäft finanziert die Tea-Party, das ist alles Großkapital. Alles, was gewählt wird, wird gewählt, weil das Großkapital die Kampagnen bezahlt. Der Republikaner Ronald Reagan hätte heute in demokratischen Vorwahlen keine Chance, geschweige bei Republikanern. Das ist so weit nach rechts gerutscht.
Mitterlehner: Für mich sind die USA sicher nicht das Maß aller Dinge. Aber was man von Amerika schon positiv übernehmen kann: Dass bei Wahlen dann auch transparent gemacht werden muss, wer die Spenden gibt. Ich würde nicht überall amerikanische Standards übernehmen wollen, aber ein paar Dinge schon: Transparenz, auch was jetzt Finanzierungen von Institutionen, Organisationen anbelangt.
Paal: Wenn ich ein Gesetz habe, und dann gibt es obendrauf noch als Cocktailkirscherl ein "aber wir halten uns schon dran", ist etwas komplett im A..., im Podex.
Mitterlehner: Das sehe ich anders. Das eine sind die gesetzlichen Standards, das andere, von dem ich rede, sind mehr oder weniger normierte moralische Standards. Wenn ich die überschreite, überschreite ich noch lange kein Gesetz, aber ich muss mich mit dem vorher auseinandersetzen. Offensichtlich sind wir in einer Situation, wo man selbst über moralische Standards diskutieren muss. Das Thema ist ja erst in den letzten Monaten verstärkt aufgetaucht.
Standard: Bitte schön: Die Grundsätze stehen im Parteiprogramm! Wenn man sich aber das Video ansieht, auf dem der EU-Abgeordnete Ernst Strasser als Lobbyist vorgeführt wird, hat man den Eindruck, dass die moralischen Grundsätze nicht hochgehalten werden.
Mitterlehner: Das sind zwei paar Schuhe. Prinzipien aus unserem Programm sind etwa, dass Eigentum in einer bestimmten Hinsicht verpflichtet, aber auf der anderen Seite eben nicht sozialisiert werden soll, sondern respektvoll behandelt werden soll. Das kann ich als Prinzip leben, bei jeder Problematik. Bei der anderen Frage, was der Lobbyist Ernst Strasser gemacht hat, sehe ich die klare Überschreitung einer Grenze.
Standard: Früher hätte man gesagt: Sehen wir uns das an, lassen wir den Staatsanwalt prüfen, ob da was dran ist - heute fordern manche Medien politische Konsequenzen, noch ehe der Sachverhalt komplett bekannt, geschweige denn rechtlich bewertet ist. Und die Politik zieht dann mehr oder weniger freiwillig diese Konsequenzen. Ist das nicht oft voreilig?
Mitterlehner: Aus meiner Sicht gilt das Prinzip der Sachverhaltsdarstellung und Unschuldvermutung sehr wohl. Sie sehen das ja: Hubert Gorbach, der mir keineswegs nahesteht, wurde beim BZÖ ausgeschlossen, bevor er überhaupt zu der ganzen Angelegenheit, die ihm vorgeworfen wird, Pipp oder Papp sagen konnte.
Paal: Es müsste aber natürlich gewährleistet sein, dass die Sachverhaltsdarstellung tatsächlich kurz, trocken, ohne irgendeine Partei-Stellungnahme stattfindet - und dass die Konsequenz von allen so hingenommen wird wie ein Verkehrsunfall, wo man sagt, ja, war rot, du bist rechts abgebogen, du hast den Fehler gemacht. Punkt. Aus.
Mitterlehner: Eh. Aber in Wirklichkeit muss man sagen: Bei uns wird schon reagiert, bevor überhaupt etwas feststeht, das ist eine reine Bedienung der Medien und der Öffentlichkeit. Und diese Vereinfachung trägt dazu bei, dass dann pauschaliert wird: Alle Politiker sind schlecht, solche Vorverurteilungen und Pauschalurteile können für die Politik insgesamt schon sehr abträglich sein. Auf der anderen Seite haben wir in Österreich auch keine Rücktrittskultur.
Paal: Also ich hab die Sachen mit der Telekom und der Aktienkursmanipulation nicht im Detail verfolgt. Aber das, was da passiert ist, schaut schon so aus, als wäre das von Menschen gemacht worden, die von einem unverbindlichen Kodex nicht zu bremsen sind.
Mitterlehner: Aber jetzt ganz ehrlich: Ich bin sicher nicht der Pflichtverteidiger von Herrn Dominique Strauss-Kahn. Aber in Wirklichkeit ist der medial vorverurteilt worden - und im Endeffekt hat es nicht einmal eine Anklageerhebung gegeben. Die Konsequenz ist, dass seine Karriere ruiniert ist. Ich möchte ihn weder schützen noch glaube ich, dass sein Verhalten einwandfrei ist. Ganz im Gegenteil. Das Problem sehe ich trotzdem: Das war eine ganz klare moralische Vorverurteilung. Und dieses eindeutige Bild ist dann relativiert worden.
Paal: Das ist aber auch der Preis dafür, den man zahlen muss für so viel Geld und die Position. Wenn man in diesen Positionen ist, dann darf man nicht so blöde sein und glauben, man kann sich in einen Grenzbereich begeben. Wenn man dort ist, dann ist man dort, weil man implizit ein Versprechen abgibt, sauber zu handeln.(Conrad Seidl, DER STANDARD; Printausgabe, 24./25.9.2011)