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Szenen einer Ehe: Glühlampenfabrikant Friedrich Hofreiter (Peter Simonischek) mit Ehefrau Genia (Dörte Lyssewski).

Foto: Lilli Strauss/dapd

Lexikoneinträge zu einem Stück über Sinnverluste und erotische Pein.

Ehe: Arthur Schnitzlers Tragikomödie Das weite Land (1911) ist gewiss kein vertrauenswürdiges Erzeugnis der Eheberatungsliteratur. Der Lebensbund des Wiener Glühlampenfabrikanten Friedrich Hofreiter mit der schönen Genia wird gewaltigen Strapazen unterworfen. Hofreiter macht seiner Frau zum Vorwurf, sich nicht dem Musiker Korsakow hingegeben zu haben: Dieser soll aus Schwärmerei für sie seinem Leben ein Ende gesetzt haben. Anstatt sich nun aber glücklich zu schätzen, eine so tugendhafte Frau zu besitzen, tut Hofreiter so, als trüge allein sie die Schuld am Suizid des Nebenbuhlers. Hofreiter, selbst ein notorischer Fremdgeher, hat den passenden Sinnspruch parat: "Ach Gott, das Leben ist schon eine komplizierte Einrichtung! ... Aber interessant ... sehr interessant!"

Fels: Das Stück kulminiert im berühmten dritten Akt, in der "Halle des Hotels Völser Weiher". Hofreiter besteigt mit seiner neuesten Eroberung, der burschikosen Erna Wahl (in Wien: Katharina Lorenz), eine Felsenspitze in den südlichen Dolomiten. Man muss gar nicht Schnitzlers vielzitierte Nähe zur psychoanalytischen Gedankenwelt Sigmund Freuds bemühen, um Hofreiters Imponiergehabe mit den Potenzproblemen eines alternden Mannes zu erklären. Dass er im fünften Akt den jugendlichen Liebhaber seiner Frau aus reinem Übermut über den Haufen knallt, gehört zu den fragwürdigeren Zügen von Hofreiters Versagensängsten.

"Herzensschlampereien": Der geniale Alfred Polgar bezeichnete Das weite Land als "wohlorganisiertes Konzert der Würmer im Holz". Tatsächlich wohnt man den ungezwungenen Plaudereien einer absterbenden Gesellschaftsschicht bei. Während man Filzkugeln über das Tennisnetz drischt oder beschließt, in die Badener Freiluft-Arena zu fahren, findet man ausgiebig Zeit, die eigene Laxheit in moralischen Fragen mit Phrasen zu bemänteln.

Hopf: Hofreiter bezichtigt den Marinefähnrich Otto Aigner (in Wien: Lucas Gregorowicz) so ausdauernd der Feigheit, dass dieser ihn förmlich zum Duell fordern muss. Diese Reaktion auf die Liebelei seiner Frau mit dem schüchternen Leichtmatrosen entspringt nicht so sehr einem tief eingewurzelten Hygienebedürfnis als Hofreiters verletzter Eitelkeit: "Aber man will doch nicht der Hopf sein", äußert der Fabrikant zum Ende des vierten Akts. Man meint seine Befriedigung zu verspüren.

Sentenzen: Eine Auswahl an Sentenzen, mit denen Schnitzler das Stück gespickt hat: "Ich finde überhaupt, man sollte die menschlichen Beziehungen mehr auf Sehnsucht einrichten als auf Gewohnheit." (Hofreiter) - "Wir versuchen wohl Ordnung in uns zu schaffen, so gut es geht, aber diese Ordnung ist doch nur etwas Künstliches ... Das Natürliche ... ist das Chaos." (Direktor Aigner) - "Man gleitet. Man gleitet immer weiter, wer weiß wohin." (Genia)

Städtewettkampf: Große und kleinere Theaterstädte besinnen sich zugleich des Schnitzler'schen Meisterstücks. Heute, Samstag, inszeniert Alvis Hermanis Das weite Land im Burgtheater als schiefergraue Hommage an den Film noir: Der Plot wird in die Nachkriegszeit hinaufgereicht, die Herren tragen Borsalinos, Peter Simonischek hat die Rolle des Hofreiter von Klaus Maria Brandauer übernommen. Am 6. Oktober eröffnet Martin Kus ej das Münchner Residenztheater: Bei ihm soll das Land der Seele gegenwartsnäher erkundet werden.

Vergleichscontest: Das Studium der Programmzettel in Wien und München ermöglicht reizvolle Vergleiche: Den Münchner Hofreiter gibt Tobias Moretti. Als Wiener Genia trägt Dörte Lyssewski ihr Haar wasserstoffblond, über Juliane Köhlers Haartönung in München ist noch nichts nach außen gedrungen. Bereits am 28. September reicht das Stadttheater Klagenfurt Josef E. Köpplingers Josefstädter Weites-Land -Inszenierung nach: Hier gibt Herbert Föttinger die charmante Bestie Hofreiter, Sandra Cervik die Genia. (Ronald Pohl, DER STANDARD - Printausgabe, 24./25. September 2011)