Das Ansehen und die Finanzierung der öffentlichen Schulen werden durch das Sparprogramm ausgedünnt, findet eine Demonstrantin, die die Lehrer bei ihrem Protest unterstützt.

Foto: Standard/Herrnböck

In Spanien, dem Land mit der höchsten Jugendarbeitslosigkeit in Europa, rächen sich Fehler aus der Vergangenheit.

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Madrid - "Wir haben eine Krise. Da müssen eben alle mit anpacken", ärgert sich ein Ladenbesitzer in Spaniens Hauptstadt. Sein Juweliergeschäft befindet sich in Sichtweite vom Bildungsministerium, wo sich ein Protestzug direkt vor dem kleinen Schaufenster formiert. Schon wieder. Fast jede Woche wird ein Generalstreik ausgerufen. Heute sind es die Lehrer.

Nüchtern betrachtet geht es um zwei Stunden mehr Arbeit pro Woche, die das regionale Sparprogramm den Lehrern abverlangt. Nüchtern betrachtet. Aber das Thema strotzt vor Wut und Angst. Eltern, Arbeiter, Gewerkschafter - alle marschieren sie Seite an Seite mit den 20.000 streikenden Lehrern, die den Schülern am Dienstag und Mittwoch verlängerte Sommerferien bescherten.

Zu alt für Hungerstreik

Missbilligende Blicke, wie der des Ladenbesitzers, ernten sie kaum. Die meisten Spanier haben Verständnis für die Empörung. Denn die Krise trifft jeden, Schuldirektor wie Taxifahrer. Die Jobs werden knapper, die Löhne stagnieren, sogar die unpopuläre Reichensteuer wurde wieder eingeführt. Die kratzt allerdings die wenigsten: 63 Prozent der Spanier leben aktuell von weniger als 1100 Euro im Monat.

Das Durchschnittsgehalt eines Lehrers für die Sekundarstufe liegt hingegen bei 1800 Euro. An sich Grund genug zum Grummeln, wenn es da um die Verweigerung zweier läppischer Arbeitsstunden geht. "Wir kämpfen um das Ansehen der Bildung", sagt Maria José, Englischlehrerin an einer öffentlichen Schule. Sie selbst werde nicht mehr in den Hungerstreik treten, dafür sei sie zu alt. Aber die jüngeren, die sollen sich sichtbar machen, fordert sie.

Allein in Madrid werden in diesem Schuljahr rund 5000 Nachwuchslehrer keine Stelle bekommen. Das gab es noch nie. Die fehlenden Stunden sollen die vorhandenen Lehrkräfte übernehmen. Die Vorbereitungszeit schrumpft, die Klassen wachsen, die Förderstunden verschwinden. Das sind nur ein paar Nebenwirkungen, die mit den zwei Stunden Mehrarbeit Hand in Hand gehen.

Werden die geplanten Einsparungen umgesetzt, so die Angst, gibt es zukünftig noch weniger Scheu, weitere Kürzungen vorzunehmen. Madrids Präsidentin Esperanza Aguirre, ausgemachte Buhfrau des Aufstands, hat es bereits angedeutet: "Nur weil Bildung grundsätzlich verpflichtend und gratis ist, heißt das nicht, dass sie das immer bleiben muss." Ein entsprechender Vorschlag von Aguierre, Stipendien für höhere Ausbildungen zu streichen, liegt bereits vor. Für viele ist es ein moralischer Kampf. Es geht um die Zukunftschancen eines Landes, das mit 45 Prozent die traurige Spitze bei der Jugendarbeitslosigkeit in Europa bildet.

Im Rahmen von eurotours 2011, einem Projekt der Europäischen Union, sind in diesem Monat 26 Journalisten unterwegs, um die Bildungssysteme der einzelnen EU-Länder unter die Lupe zu nehmen und zu vergleichen. Fehler im spanischen System seien nicht der Grund dafür, dass fast jeder zweite junge Spanier ohne Job dasteht, meint der Bildungsstaatssekretär Mario Bedera Bravo. Er führt die Entwicklung auf das Ende des jahrelangen Immobilienbooms zurück. Vor allem junge Männer verließen scharenweise die Schule, um am Bau das schnelle Geld zu verdienen. Heute stehen 600.000 von ihnen ohne Abschluss, ohne Qualifikation und ohne Baustelle da. Bislang sah das spanische Schulsystem keine Zwischenabschlüsse vor, das wurde in diesem Jahr reformiert.

Deutschland fischt im Teich

Bei den wiederkehrenden Demonstrationen der "Indignados" (Die Empörten), die das ganze Land angesteckt zu haben scheinen, fliegen keine Pflastersteine. Es ist ein Aufstand der Bessergestellten, nicht vergleichbar mit den Unruhen in England. Noch nicht. "Keiner weiß, was passiert", sagt Paula Bisquert, die sich gerade auf die Lehramtsprüfung vorbereitet. Auch wenn sie die mit Bravour bestehen sollte, Jobsicherheit gibt es keine. "Früher konnte man ausweichen auf Kellnerjobs oder Ähnliches. Aber nicht einmal das geht mehr."

Was passiert mit Spaniens Jugend, die besser ausgebildet, aber so wenig gefragt ist wie keine Generation vor ihr? Deutschland macht einen Vorschlag und ließ verlauten, Ingenieure mit Handkuss aufzunehmen. Der Fachkräftemangel des einen wird zum Braindrain, der Abwanderung von Intelligenz, des anderen.

"Es wäre toll, würden die Absolventen ins Ausland gehen, Erfahrung sammeln und wieder zurückkommen", wünscht sich Pilar López, Wirtschaftsdekanin an der Universidad Autónoma. Es ist ein Risiko für Spanien, das weiß sie. "Wir verlieren Humankapital", heißt es in der Wirtschaftswelt so unverblümt.

Der in Madrid regierende Partido Popular, die spanische Volkspartei, fördert private Bildungseinrichtungen, meint Maria José. Oft verweigern die katholischen Institutionen Immigranten die Aufnahme. "Was passiert mit unseren Kindern, die bereits sozial ausgegrenzt sind?", fragt sie sich. Ein zusätzlicher Punkt, der sie dazu antreiben wird, weiterhin vor dem Schmuckladen neben dem Ministerium zu stehen und ihr Protestbanner hochzuhalten. (Julia Herrnböck/DER STANDARD, Printausgabe, 24.9.2011)