Mojtaba Vahedi betreibt im Exil Aufklärungsarbeit über das iranische Regime.

Foto: Standard/Cremer

Über Revolutionen, Medien und die schwindende Macht von Mahmud Ahmadi-Nejad sprach er mit Gianluca Wallisch.

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STANDARD: Wie geht es Mehdi Karrubi zurzeit?

Vahedi: Er lebt im kleinen ehemaligen Büro seiner Frau. Die Fenster sind mit Folien verklebt, alle Bücher wurden entfernt, die Einrichtung ist auf ein Minimum beschränkt. Es ist wie im Gefängnis. Im Iran hat jeder Häftling das Recht, einmal pro Woche Familienmitglieder zu sehen. Herr Karrubi durfte das nur ein paar Mal, im Schnitt alle eineinhalb Monate. Zuletzt haben wir vor drei Wochen von ihm gehört, davor vergingen 45 Tage ohne jegliche Information. Die ersten fünf Monaten seiner Haft durfte seine Frau bei ihm wohnen, aber seit zwei Monaten ist er ganz allein.

STANDARD: Können Sie selbst mit Karrubi in Kontakt treten?

Vahedi: Nein, er ist absolut "incomunicado": Kein Telefon, keine Zeitungen. Er darf nur einen staatlichen TV-Sender sehen. Auch das ist Folter. Bei den seltenen Besuchen kann er natürlich nicht offen sprechen. Doch aus der Kenntnis seiner Persönlichkeit und seiner Formulierungen kann man ableiten, was er sagen will. Er hat seine Standpunkte jedenfalls nicht geändert. Nicht ein Jota davon.

STANDARD: Muss das Regime in Teheran die Effekte der arabischen Revolutionen fürchten?

Vahedi:Das Regime hat eine gespaltene Haltung zum Arabischen Frühling. Zumeist werden die Revolutionen nicht als demokratische, sondern als "islamische" Aufstände bezeichnet und daher begrüßt. In Syrien will das Regime aber den Aufstand gegen Bashar al-Assad, der ein Freund ist, nicht wahrhaben. Also wird daraus ein Komplott der Zionisten gemacht, also stecken Israel und die USA dahinter. Sollte es zu einem Sturz Assads kommen, würde das riesigen Einfluss auf den Iran haben - sowohl auf das Regime als auch auf die Bevölkerung.

STANDARD: Kann eine solche Revolte auch im Iran passieren?

Vahedi: Was in den arabischen Ländern geschah, wird sich nicht im Iran abspielen können. In Ägypten hat sich die Armee sofort auf die Seite des Volkes gestellt. Nicht so im Iran. Die Revolutionsgarde hat jedes Interesse, das System zu erhalten. Und daher tötet sie ruchlos weiter. Die Maxime des Regimes in Teheran ist, das Volk massiv einzuschüchtern. Sie haben nichts mehr zu verlieren.

STANDARD: Wie ist es um die Medien im Iran bestellt?

Vahedi:Schlecht. Viele Journalisten sind auf der Flucht, andere im Gefängnis. Erst vergangene Woche wurde eine Zeitung eingestellt. Im Iran gibt aber eine hohe Dichte an Internet-Usern. Das Regime versucht, sie zu behindern. Sie machen etwa das Internet so langsam, dass es fast unmöglich wird, Bilder oder Videos online zu stellen. Aber einige Netzaktivisten können diese Störmaßnahmen immer wieder umgehen.

STANDARD: Innenpolitisch scheint Präsident Mahmud Ahnadi-Nejad seit Wochen geschwächt ...

Vahedi:Ich bin sicher, er wird seine Amtszeit nicht beenden. Er hat schon jetzt keine Macht mehr. Ein Beispiel: Vor einigen Tagen kündigte er in einem Interview an, dass die beiden amerikanischen Wanderer innerhalb von zwei Tagen freigelassen würden. Stattdessen kamen erst acht Tage später frei. Das nur, um zu zeigen, dass nicht Ahmadi-Nejad, sondern Ali Khamenei das Sagen hat. Außerdem behauptete er, Mir-Hossein Mussavi und Mehdi Karrubi seien freie Männer. Fragen Sie einmal um ein Interview mit einem der beiden Oppositionspolitiker an: Es ist nicht wahr, dass sie frei sind. (DER STANDARD, Printausgabe, 24.9.2011)