Dieser Freitag begann in Ramallah wie jedes andere Wochenende. Nur langsam haben die Kaffeehäuser ihre Türen geöffnet. Menschenansammlungen fand man nur vor den kleinen Geschäften, die frischen Humus und Falafel zum Frühstück ausgeben. Doch die vielen palästinensischen Fahnen ließen erahnen, dass es sich beim 23. September nicht um irgendeinen Tag handelt. Die monatelange Diskussion um den Antrag um Aufnahme des Palästinenserstaats in die UNO sollte mit Mahmud Abbas Rede vor der UN-Generalversammlung noch diesen Abend ein glorreiches Ende nehmen.
Zum Mittagsgebet strömten dann die Massen in die örtlichen Moscheen. "Wenn wir ein getrenntes Volk bleiben, werden wir im Meer versinken wie ein Schiff", hörte man die arabischen Worte des Imam aus der großen al-Bireh Moschee. Weil sie drinnen keinen Platz mehr hatten, standen die betenden Muslime in mehreren Reihen draußen vor der Tür. Auch Polizisten in Uniform nahmen am Mittagsgebet teil.
Hinter dem, was diesen Freitag in Ramallah und vor der UNO passierte, stehen viele kleine und große Geschichten, die dieser Manifestation erst ihre Stärke und Reichweite gegeben haben. Eine davon ist der sogenannte "Fliegende Stuhl", der von Walid Saeb Nasser und einem Team von Aktivisten durch die Welt getragen wurde, um für den 194. UN-Sitz für Palästina Werbung zu machen.
Vor dem riesigen Blauen Holzsessel, der jetzt als Symbol im Zentrum von Ramallah steht, sprach Walid über den Auftrag hinter der Tour. "Wir waren in Russland, in Qatar, im Libanon und in vielen anderen Staaten. Der Libanon war mir dabei am wichtigsten, weil dort die größte Zahl an palästinensischen Flüchtlingen lebt. Sie sind Teil Palästinas. Wenn wir zu einem Staat werden, haben sie das Recht, zurück zu kehren." Den Sitz als Vollmitglied werden die Palästinenser zwar wegen dem Sicherheitsrat-Veto der USA ziemlich sicher nicht bekommen, "aber die Welt hat unserer Nachricht verstanden", meint er.
Unterdessen sind auch die ersten Demonstrationszüge auf den neu benannten Yasser Arafat Platz geströmt. "Nach 20 Jahren fehlgeschlagenen Verhandlungen mit Israel ist unsere neue Strategie der gewaltfreie Widerstand. Der heutige Tag wird das Mächtegleichgewicht maßgeblich verändern", erklärte der frühere Präsidentschaftskandidat Mustafa Barghouti inmitten der Menge. Auf die Frage, welche Hoffnung er persönlich mit diesem Tag verbinde, meinte er: "Ich war zwölfeinhalb Jahre alt, als mein Heimatort von Israel besetzt wurde. Mein Traum ist es, diese Besatzung zu beenden. Wenn meine Tochter nicht mehr in Checkpoints Schlange stehen muss und unsere Jugend ihre Rechte auf ein würdiges Leben bekommt, dann haben wir dieses Ziel erreicht."
Israel hatte den Schritt der Palästinenser, ihr Staatsansuchen vor die UNO zu tragen, als einseitigen Schritt kritisiert, der Verhandlungen nicht ersetzen könne. Doch Xavier Abu Eid vom palästinensischen Verhandlungsteam wollte das am Freitag nicht gelten lassen. "Unser Recht auf einen eigenen Staat hat nichts mit Verhandlungen zu tun. Erst wenn wir über die Details wie Grenzen, Jerusalem und Flüchtlinge sprechen, brauchen wir Gespräche mit Israel", meint er mit ernster Miene. Dann zeigt er mit dem Finger nach unten und sagt: "Mein Recht auf Selbstbestimmung auf diesem Boden ist nicht verkäuflich."
Bald fand sich dann auch schon der erste Sprecher auf der Bühne ein. Auch die Dächer der umliegenden Gebäude waren den ganzen Abend vollgefüllt mit Leuten, die das Geschehen von oben verfolgt haben. "Der Präsident Mahmud Abbas grüßt den Generalsekretär der UNO", ruft dann der Fatah-Politiker Amin Shuman vom Podium. Kurz darauf erscheint Präsident Abbas mit Ban Ki Moon auf der Leinwand. "Befrei Palästina! Befrei Palästina!", ruft ihm die Menge zu.
Während der lange herbei gesehnten Rede war es dann zehn Minuten lang still. Doch als Abbas über den 35-jährigen Palästinenser spricht, der kurz davor in der Stadt Nablus bei Ausschreitungen vom israelischen Militär getötet wurde, bricht lauter, klagender Jubel aus. Noch einmal unterbrechen die rund 10.000 Zuhörer die Ruhe. "Lasst den Olivenzweig nicht aus meiner Hand fallen", zitierte Abbas die Worte von Yasser Arafat aus dessen Rede vor der Generalversammlung im Jahr 1974. Das Grölen der Massen nach diesem Verweis hat gezeigt, wie stark die Nationalfigur Arafat auch heute noch ist.
Auch nach der Rede ihres Präsidenten, der dieses Wochenende wohl den Höhepunkt seiner Karriere erreicht hat, feierten die Menschen in Ramallah ausgelassen. Das konnte man vor allem an den vielen hupenden Autos erkennen, auf deren Motorhauben jeweils eine palästinensische Fahne, und eine mit der Aufschrift "UN 194", im Wind flatterte.
Die Euphorie darüber, dass die Palästinenserfrage zurück in den Mittelpunkt der Weltbühne gerückt ist, konnte aber auch die Palästinenser selbst nicht über die Realität hinwegtäuschen. Ein junger Mann aus Ramallah meinte nach der Rede: "Für mich ist es einfach berührend, dass Abu Mazen (Abbas) den Mut hat, vor die ganze Welt zu treten und die Wahrheit zu sagen. Dass sich unser Leben deswegen nicht gleich verbessert, weiß ich allerdings auch."
Am Samstagmorgen fiel dann der erste Regen seit Monaten über Ramallah. Ob das nun ein Segen, oder ein schlechtes Zeichen ist, sei den Interpretationen der Palästinenser überlassen. (Andreas Hackl, derStandard.at, 24.9.2011)