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Ein PKK-Sympathisant bei Protesten vor den Parlamentswahlen im vergangenen Juni. Kurdenpolitiker sind sich uneinig, ob Molotowcocktails-Werfen bei Demonstrationen einen Gewaltakt darstellt.

Foto: Reuters/Orsal

Der Premier hat eine Offensive angeordnet, doch er weiß: Die Kurden-Frage lässt sich nicht militärisch lösen.

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Der Angriff begann am frühen Abend um sechs. Sie kamen mit automatischen Waffen und Granaten, am Ende waren sechs Soldaten und drei Kämpfer der kurdischen Untergrundarmee PKK, darunter eine Frau, tot. In der Türkei wird nun jede Woche gestorben. Der Überfall auf einen Posten der Gendarmerie in der Provinz Siirt am Wochenende, nahe der Grenze zu Syrien und dem Irak, war nicht die einzige Erinnerung, dass die Türkei im Krieg mit der kurdischen Arbeiterpartei steht.

Vier Frauen im Auto auf dem Weg zu einer Hochzeit erschossen PKK-Kämpfer am vergangenen Mittwoch. Am Tag davor verübte eine Splittergruppe einen Bombenanschlag im Zentrum von Ankara, bei dem drei Menschen starben. Anfang September war es die Maschinengewehrsalve auf fußballspielende Polizisten, die das Land schockierte: Auf dem Spielfeld starb ein junger Polizeioffizier, auf der Tribüne seine Ehefrau. Mit einem Mal hat sich die PKK in diesem Sommer mit Terrorangriffen und Gefechten zurückgemeldet. 120 Tote auf beiden Seiten werden es seit der Parlamentswahl im vergangenen Juni nun sein. An der Grenze zum Nordirak, wo die kurdische Arbeiterpartei ihre Basen in den Kandili-Bergen unterhält, steht die türkische Armee zu einer neuen Bodenoffensive bereit.

Ankaras Scheitern

In Europa war Regierungschef Tayyip Erdogan lange als tumber, stockkonservativer Islamist porträtiert worden. Jetzt - nach drei großen Wahlsiegen, einer ungebrochen wachsenden Wirtschaft und einer neuen Rolle als Fürsprecher der arabischen Welt - ändert sich das Bild vom türkischen Premier: Ein "immenses politisches Talent" bescheinigte ihm dieser Tage Alain Frachon in der französischen Tageszeitung Le Monde. Doch umso mehr fällt auf Erdogan und seine Regierung nun das Scheitern in der Kurden-Frage, dem erklärtermaßen "größten politischen Problem der Türkei" , zurück.

Von der Idee der "demokratischen Öffnung" aus dem Jahr 2009 ist wenig geblieben. Die von den Kurden triumphal gefeierte Rückkehr von PKK-Kämpfern am türkisch-irakischen Grenzübergang Habur im Oktober jenes Jahres wurde zu einem Debakel für die türkische Regierung. "Es wird kein zweites Habur geben" , sagte Erdogan nun, kein weiteres Angebot für eine Amnestie.

Gleichwohl sind sich Regierungspolitiker und die größte Oppositionspartei, die CHP, einig, dass sich der Kampf gegen die PKKnicht militärisch gewinnen lässt. Audiomitschnitte von geheimen Treffen zwischen PKK-Vertretern und dem türkischen Geheimdienst in Oslo, wohl aus dem Jahr 2010, sind mittlerweile aufgetaucht - vermutlich ans Licht gebracht durch die kurdische Arbeiterpartei, um die Regierung in der Öffentlichkeit unter Druck zu bringen und die Armee, die seit August wieder verstärkt im Nordirak Luftangriffe fliegt.

Staatschef wie Parlamentspräsident haben diese Gespräche verteidigt. Die Politik der "demokratischen Öffnung" bleibe weiter die einzige Lösung, stellte auch der in Brüssel ansässige Thinktank "Crisis Group" in einer neuen Studie fest. Er mahnte die Kurdenpartei BDP, sich "entschieden zu einem legalen, nicht gewaltsamen Kampf innerhalb der Türkei" zu verpflichten. Eine solche Distanzierung der BDP von der Untergrundarmee steht weiter aus. (Markus Bernath aus Istanbul/DER STANDARD, Printausgabe, 26.9.2011)