Erinnern Sie sich? Im Februar 2009 hatte die Protestantin Angela Merkel während einer Pressekonferenz mit dem kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew Papst Benedikt XVI. attackiert. Die kurz davor durch den Vatikan erfolgte Aufhebung der Exkommunikation von vier Bischöfen der Pius-Bruderschaft kritisierte sie mit den Worten: "Es entsteht der Eindruck, dass man den Holocaust leugnen kann." Der Holocaust-Leugner Richard Williamson war unter den vier Pardonierten.
Bis heute ist der Papst der Forderung Merkels nach einer Klarstellung nicht nachgekommen. In seiner Rede vor dem deutschen Bundestag ist er auf diese fundamentale Katastrophe in der deutschen Geschichte mit keinem Wort eingegangen. Er hat vielmehr eine tiefe Wunde von Merkels Partei, der CDU, berührt. Nach ihrer Wahlniederlage in Baden-Württemberg regiert in Stuttgart der katholische Grüne Wilfried Kretschmann. Mit ihm hat Benedikt länger geredet als mit anderen Ministerpräsidenten, bemerkten die Journalisten.
Indem er sagte, er wolle mit seinen Worten keine Partei unterstützen, hat er es erst recht getan: Sein Lob für die Ökologiebewegung, diese als deutsche Erfindung darzustellen und damit die Grünen mit dem Segen des Vatikan auszustatten, kann man ohne Frage auch als Hieb gegen Merkel verstehen. Die sind eigentlich die neuen Christen, gab er zu verstehen. Nicht mehr nur die mit dem "C" in ihrem Namen.
Er hat vor dem Bundestag eine rechtsphilosophische Rede gehalten - auf hohem Niveau, wurde dem Papst allgemein attestiert. Und er habe, angesichts des Orts seines Vortrags, auf das Missionieren verzichtet. Das mag stimmen. Aber warum hat er just im Bundestag unter dem Vorwand, weder eine religiöse noch eine politische Rede zu halten, eine bestimmte politische Richtung hervorgehoben? Wer sagt, das sei kein Kalkül gewesen, unterschätzt ihn.
Andererseits hat er nämlich auch die Grünen selbst in Schwierigkeiten gebracht. Bisher ist es ihnen ganz gut gelungen, die Unterschiede zwischen christlichen und antiklerikalen Kräften zu überdecken. Das wird sich ändern.
Benedikt XVI. hat in der Hauptstadt seiner Heimat eine polarisierende Botschaft hinterlassen, ohne neben seiner missverständlichen Position gegenüber den Leugnern des Holocaust auch noch einen anderen Widerspruch aufzulösen: jenen zwischen dem Rechtswesen des liberalen Staats und dem in der Zeit vor der Aufklärung begründeten Kirchenrecht.
Der Papst bekannte sich zum Grundgesetz (der deutschen Verfassung), meinte aber nur jenen Teil, der sich ausdrücklich auf Gott bezieht. Würde er die ganze Verfassung im Blick gehabt haben, dann müsste er ihre Demokratie-Inhalte zumindest teilweise auch innerkirchlich umsetzen.
Um wieder mehr Wertbewusstsein (das auch andere als nur christliche Quellen hat) in die Köpfe zu bringen, müsste sich vor allem die Kirche selbst verändern. Ohne konkrete Schritte ist das Bekenntnis zum Grundgesetz bloße Rhetorik - und jenes zur Ökologie eine Anbiederung. (DER STANDARD, Printausgabe, 26.9.2011)